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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:17.02.2020
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/40-2019
Rechtsgrundlage:§ 52 Abs. 2 MVG-K, § 178 Abs. 2 SGB IX
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke evangelischer Kirchen in NIedersachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe, 4 VR MVG 14/19
Schlagworte:Unterrichtung und Anhörung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten
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Leitsatz:

Die Vertrauensperson der Schwerbehinderten ist vor Erteilung einer Abmahnung an einen schwerbehinderten Menschen nach § 52 Absatz 2 MVG-K (§ 51 Abs. 3 MVG-EKD) zu unterrichtungen und vor einer Entscheidung zu hören.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in NIedersachsen e.V. - vom 3. Juni 2019, Az. 4 VR MVG 14/19, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die antragsstellende Vertrauensperson der Schwerbe-hinderten vor der Erteilung einer Abmahnung an eine Mitarbeiterin durch die Beteiligte zu 2) unterrichtet und angehört werden musste. In der Einrichtung der Beteiligten zu 2) hat bis zum 31. Dezember 2019 das Mitarbeitervertretungsgesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen (MVG-K) Anwendung gefunden.
Die Beteiligte zu 2) hat der schwerbehinderten Mitarbeiterin Frau D ohne vorherige Unterrichtung und Anhörung der Beteiligten zu 1) am 25. März 2019 eine Abmahnung vom 15. März 2019 ausgehändigt, in welcher der Mitarbeiterin vorgehalten wird, wegen einer angekündigten Krankschreibung geplant und bewusst die Arbeit verweigert zu haben.
Die antragstellende Vertrauensperson der Schwerbehinderten hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Vertrauensperson der Schwerbehinderten für die A vor der Er-teilung der Abmahnung vom 15. März 2019 an Frau D zu unterrichten und anzuhö-ren gewesen wäre,
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, künftig die Vertrauensperson der Schwerbehin-derten für die A gemäß Vorgabe des § 178 SGB IX anzuhören, bevor eine Abmah-nung gegenüber einem schwerbehinderten Mitarbeiter ausgesprochen wird.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
die Anträge abzuweisen,
und die Auffassung vertreten, die streitgegenständliche Abmahnung sei ohne Bezug zur Schwerbehinderung der betroffenen Mitarbeiterin erteilt worden, damit entfalle die Verpflichtung zur Beteiligung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten. Deshalb sei auch der Antrag zu 2. zurückzuweisen.
Die Schiedsstelle hat den Anträgen entsprochen und die Auffassung vertreten, gemäß § 178 Absatz 2 SGB IX in Verbindung mit § 52 Absatz 1 und 2 MVG-K sei die Vertrauensperson der Schwerbehinderten vor jeder Abmahnung anzuhören, auf die weitere Begründung der angefochtenen Entscheidung wird verwiesen.
Mit der frist- und formgerecht eingereichten begründeten Beschwerde wendet sich die Beteiligte zu 2) gegen diesen Beschluss. Gebe es - wie vorliegend - keinen Bezug zu der Schwer-behinderung, müsse die Schwerbehindertenvertretung nicht angehört werden, eine differenzierte Betrachtung sei erforderlich. Der Antrag zu 2. sei zu weitgehend, weil nicht in jedem Fall vor Ausspruch einer Abmahnung die Vertrauensperson der Schwerbehinderten zu informie-ren und anzuhören sei.
Die Beteiligte zu 2) beantragt,
den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Nieder-sachsen und der Diakonischen Werke evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Olden-burg und Schaumburg-Lippe vom 3. Juni 2019 - 4 VR-MVG 14/19 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 1) beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens wird Bezug genommen auf die wechselseitigen zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen Anhörung.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Schiedsstelle hat den Anträgen mit zutreffender Be-gründung entsprochen.
1. Nach § 52 Absatz 2 MVG-K in der Fassung bis 31. Dezember 2019 ist die Vertrauensperson der Schwerbehinderten von der Dienststellenleitung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen Schwerbehinderten oder die Schwerbehinderten als Gruppe berühren, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung zu hören; die getroffene Entscheidung ist ihr unverzüglich mitzuteilen.
a) Die Erteilung einer Abmahnung ist eine „Angelegenheit“ im Sinne der Norm. „Angelegenheiten“ im Sinne von § 52 Absatz 2 MVG-K (bzw. § 178 Absatz 2 SGB IX) sind unter anderem die Erteilung einer Abmahnung (BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 - Rz 14). Eine Abmahnung „berührt“ auch den Schwerbehinderten, dem sie erteilt wird. „Berühren“ ist mit „Betreffen“ gleichzusetzen (BAG a.a.O.). Eine Abmahnung betrifft das Arbeitsverhältnis des schwerbehinderten Menschen, weil sie ein Fehlverhalten beschreibt, für den Wiederholungs-fall Konsequenzen für das Arbeitsverhältnis ankündigt (Warnfunktion) und damit den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Damit ist nach den tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm jede Abmahnung eine Angelegenheit, die den einzelnen schwerbehinderten Menschen im Sinne von § 52 Absatz 2 MVG-K berührt (zutreffend Düwell in LPK-SGB IX § 178 Rn. 37; ErfK/Rolfs § 178 SGB XI Rz. 5; Kleinebrink, DB 2017, 126; vgl. auch MüHd-bArbR/Zimmermann § 198, Rn. 141, a.A. LAG BW 7. April 2017 – 7 TaBV 1/17).
2. Eine Unterrichtungs- und Anhörungsverpflichtung soll zwar dann nicht bestehen, wenn die Angelegenheit die Belange Schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen in keiner anderen Weise berührt als die nicht schwerbehinderter Beschäftigter (vgl. BAG 17. August 2010 - 9 ABR 83/09 Rz 13 (Besetzung einer Führungsposition); BAG 26. Januar 2017 – 8 AZR 736/15 (Aufstockung mehrerer Teilzeitarbeitsverhältnisse ohne Berücksichtigung eines Wunsches eines scherbehinderten Mitarbeiters, kritisch hierzu Busch jurisPR-ArbR 32/2017 Anm. 5). Für den Fall der Erteilung einer Abmahnung einem schwerbe-hinderten Menschen gibt es aber keine denkbare Konstellation, in der die Beteiligung der Vertrauensperson entfallen kann, weil immer die Möglichkeit eines Zusammenhangs mit der Schwerbehinderung besteht (Düwell in LPK-SGB IX § 178 Rn. 37). Sinn der Unterrichtungs- und Anhörungspflicht ist es zu vermeiden, dass eine Entscheidung des Arbeitgebers die Belange schwerbehinderter Menschen beeinträchtigt; der Vertrauensperson soll ermöglicht werden, auf eine sachdienliche Behandlung hinzuwirken, wenn die Belange eines schwerbehinderten Menschen für die Entscheidung des Arbeitgebers erheblich sind (BAG a.a.O. Rz 17). Ob die Erteilung einer Abmahnung einen (mittelbaren) Zusammenhang mit der Schwerbehinderung hat, obliegt nicht der Entscheidung des Dienstgebers, der Hintergrund und Ursache einer Pflichtverletzung häufig nicht kennen wird. Erst die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen hat die Möglichkeit, z.B. durch Anhörung des schwerbehinderten Menschen einen Zusammenhang mit der Schwerbehinderung festzustellen. Die Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen hat dann die Möglichkeit, dem Dienstgeber vor der Erteilung einer Abmahnung einen etwaigen Zusammenhang mit der Schwerbehinderung vorzutragen, damit dieser seine Entscheidung überdenken kann. Auch im vorliegenden Fall ist nach der Erörterung in der mündlichen Anhörung nicht ausgeschlossen, dass das Verhalten der Arbeitnehmerin auf eine behinderungsbedingte Beeinträchtigung zurückzuführen ist.
3. Nach vorstehenden Erwägungen ist auch dem Antrag zu 2. zu entsprechen. Er ist zwar als Globalantrag formuliert, es sind nach vorstehenden Erwägungen aber keine Konstellationen denkbar, in der ein Zusammenhang mit einer behinderungsbedingten Beeinträchtigung beim etwaigen Fehlverhalten von vornherein ausgeschlossen ist, die Möglichkeit eines Zusammen-hangs mit der Schwerbehinderung besteht immer. Deshalb war auch dem Antrag zu 2. zu entsprechen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).