.
Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:23.02.2012
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/T20-11
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 41 Abs. 1 Buchstabe a), § 42 Buchstabe b), KSchG § 1 Abs. 2
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer in Münster (Westf.), 2 M 18/11
Schlagworte:Ordentliche Kündigung wegen weisungswidrigen internen Versands von E-Mails
#

Leitsatz:

1. Eine geringfügige Störung genügt für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 2 KSchG) in aller Regel nicht.
2. Auf vorangegangenes Fehlverhalten kann zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung nicht mehr zurückgegriffen werden, wenn es Gegenstand einer Abmahnung geworden ist.

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer in Münster (Westf.) - vom 12. April 2011 - Az. 2 M 18/11 - wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die antragstellende Dienststellenleitung hat die Mitarbeitervertretung um deren Zustimmung zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung gebeten, die sie Herrn C erklären will. Die Mitarbeitervertretung hat die Zustimmung versagt.
Herr C ist seit Juni 2000 bei der Antragstellerin mit einer Wochenarbeitszeit von 39 Stunden angestellt. Er ist in die Entgeltgruppe 6, Fallgruppe 1, Abschnitt 4.3 des Allgemeinen Entgeltgruppenplans (AEGP) zum BAT-KF eingruppiert. Seit dem 1. Juni 2008 ist er in seiner jetzigen Abteilung eingesetzt. Sein unmittelbarer Vorgesetzter ist Herr D; die Abteilungsleitung hat Herr E inne.
Die Dienststellenleitung erteilte Herrn C eine Reihe schriftlicher Abmahnungen, so unter dem 24. Mai 2005 wegen Fernbleibens von der Arbeit ohne ärztliche Bescheinigung, unter dem 26. Juli 2007 wegen eigenmächtigen Fernbleibens vom Dienst am 22. Juni 2007 und unter dem 31. Juli 2007 wegen nicht rechtzeitiger Meldung des Andauerns krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit am 27. Juli 2007. Nachdem es zwischen Herrn C und Herrn D wiederholt zu Kompetenz- und Kommunikationsproblemen gekommen war, erstellte der Abteilungsleiter Herrn C unter dem 25. Oktober 2010 eine schriftliche Weisung, worin es u.a. heißt:
"…
Sie setzen Herrn D bei dienstlichen Mails immer im Verteiler mit ein. Ein direktes Anschreiben an Abteilungs-, Bereichsleiter oder Geschäftsführer wird Ihnen ohne vorherige schriftliche Zustimmung seitens Herrn D oder Herrn E (Abt.Ltr.) untersagt (siehe hierzu auch das damalige Gesprächsprotokoll vom 04.05.2010).
…"
Mit Datum vom 2. Dezember 2010 erteilte die Dienststellenleitung Herrn C eine Abmahnung, weil er ohne vorherige Abstimmung mit seinem Vorgesetzten einen Wartungsauftrag erteilt habe. Mit Datum vom 20. Januar 2011 erteilte die Dienststellenleitung Herrn C eine Abmahnung, weil er sich weisungswidrig geweigert habe, am 17. Januar 2011 ordnungsgemäß eine Lieferung Betten anzunehmen, sondern nur ein einziges Bett zusammen mit der Mitarbeiterin der Lieferantin ausgepackt habe.
Am 20. Januar 2011 sandte Herr C drei kurze E-Mails an die Mitarbeiterin der Abteilung Innenrevision, am nächsten Tag sandte er ihr eine weitere E-Mail. Im Verteiler war Herr D nicht angegeben; er hatte den E-Mails auch nicht zugestimmt.
Die Dienststellenleitung beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis des Herrn C wegen dieser vier E-Mails ordentlich zu kündigen. Sie bat die Mitarbeitervertretung mit ihrem Schreiben vom 9. Februar 2011 um deren Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Mit ihrem Antwortschreiben vom 22. Februar 2011 verweigerte die Mitarbeitervertretung die Zustimmung. Am 9. März 2011 rief die Dienststellenleitung die Schlichtungsstelle an.
Die Dienststellenleitung hält die beabsichtigte ordentliche Kündigung aus Gründen im Verhalten des Mitarbeiters C für sozial gerechtfertigt. Sie hat geltend gemacht, die vier E-Mails seien der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. Die Gesamtabwägung ergäbe, dass die Kündigung gerechtfertigt sei, weil Herr C weder bereit, noch in der Lage sei, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 3. März und 5. April 2011 Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
1. festzustellen, dass keine Verweigerungsgründe für die Mitarbeitervertretung bestanden, dem Antrag auf Zustimmung zur Kündigung von Herrn C nicht zuzustimmen,
2. die Zustimmung zu dem Antrag vom 9. Februar 2011 zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hält die Kündigung nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 28. März 2011 für nicht gerechtfertigt.
Die Schlichtungsstelle hat die Anträge durch ihren - zunächst erkennbar irrtümlich auf den 29. März 2011 datierten - Beschluss vom 12. April 2011 zurückgewiesen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beschwerde. Sie hält den Beschluss für unrichtig. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens zur Begründung der Beschwerde wird auf den Inhalt des Schriftsatzes der Beschwerdeführerin vom 27. Juni 2011 Bezug genommen.
II. Die Beschwerde war nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil hierfür kein Grund gegeben ist.
1. Die Entscheidung über die Statthaftigkeit, Zulässigkeit und Verfahren der Beschwerde richtet sich nach § 63 MVG.EKD i.V.m. § 1 EGMVG.Westfalen (KABl. 2003, S. 404).
2. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD bedarf die Beschwerde gegen Beschlüsse der Kirchengerichte der Annahme durch den Kirchengerichtshof der EKD. Sie ist nach § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD anzunehmen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen, 2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Entscheidung eines obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 4. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem der Beschluss beruhen kann.
Keine dieser Voraussetzungen liegt vor, vor allem nicht die zu § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder 4 MVG.EKD.
3. Es liegt kein Fall des § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 MVG.EKD vor. Die Beschwerde meint, sich darauf stützen zu können, dass die erstinstanzliche Entscheidung bereits am 29. März 2011 und damit vor der mündlichen Verhandlung am 12. April 2011 gefasst worden sei oder sein könnte. Damit kann die Beschwerde nicht durchdringen. Richtig ist zwar, dass der zunächst zugestellte Beschluss als Beschlussdatum den 29. März 2011 ausweist und dass die mündliche Verhandlung erst am 12. April 2011 stattgefunden hat. Indessen zeigt sich, dass im zunächst zugestellten Beschluss die Datumsangabe objektiv falsch war. Dies hat die Vorinstanz selbst bemerkt und - stillschweigend ohne Beachtung der Förmlichkeiten des § 319 ZPO - berichtigt. Der Beschluss mit dem richtigen Datum der Beschlussfassung, nämlich "12. April 2011", ist der Beschwerdeführerin mit dem Anschreiben vom 8. August 2011 unter Hinweis auf den Fehler bei der Datumsangabe übermittelt worden.
4. Auch die Voraussetzungen des § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MVG.EKD sind nicht gegeben.
a) Ernstliche Zweifel an der materiell-rechtlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegen gesetzten Entscheidung genügt nicht (st. Rspr. des KGH.EKD, zuletzt Beschluss vom 28. November 2011 - I-0124/T18-11 - www.ekd.de). Maßgeblich ist, dass die Entscheidung in der Sache, nicht aber nur deren Begründung, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anders ausgehen wird. Die Gründe, aus denen sich die ernstlichen Zweifel an der materiellen Richtigkeit der Entscheidung ergeben sollen, müssen innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist schriftsätzlich vorgetragen worden sein.
b) Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses zeigt die Beschwerde nicht auf. Die Mitarbeitervertretung hätte ihre Zustimmung nicht verweigern dürfen, wenn die beabsichtigte Kündigung nach § 1 KSchG aus den von der Dienststellenleitung herangezogenen Gründen sozial gerechtfertigt wäre (§ 41 Abs. 1 Buchstabe a), § 42 Buchstabe b) MVG.EKD). Die Wertung der Vorinstanz, dass das zur Rechtfertigung der ordentlichen Kündigung dienende Fehverhalten des Mitarbeiters C, nämlich die vier E-Mails an die Innenrevision, hierfür nicht genüge, ist vertretbar. Für die Annahme der Beschwerde zur Entscheidung ist unzureichend, dass - mit Rücksicht auf das zuvor vom Mitarbeiter C vorgelegte und abgemahnte Fehlverhalten - auch die gegenteilige Entscheidung vertretbar wäre.
aa) Die Voraussetzung für die Anwendung des § 1 KSchG sind unstreitig gegeben. Eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht - in der Regel schuldhaft - erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird, eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint (BAG, Urteil vom 31. Mai 2007 - 2 AZR 200/06 - NZA 2007, 922 m.w.N). Eine geringfügige Störung genügt für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 2 KSchG) in aller Regel nicht.
bb) Zutreffend führt die Beschwerde ins Feld, der Mitarbeiter C habe mit den vier o.g. E-Mails vom 20. und 21. Januar 2011 an die Mitarbeiterin der Innenrevision gegen die ihm erteilte Weisung vom 25. Oktober 2010 verstoßen. Dabei kann zu Gunsten der Dienststellenleitung davon ausgegangen werden, dass diese Weisung jedenfalls im hier interessierenden Zusammenhang - nämlich für dienstlich veranlasste Kontaktaufnahmen - nicht gegen höherrangiges Recht verstößt. Selbstverständlich darf die Dienststellenleitung anordnen, auf welchen Wegen dienstlich kommuniziert werden darf. Ob solche Anordnungen auch wirksam sind, wenn es um die persönliche Stellung des einzelnen Mitarbeiters geht, bedarf hier keiner Entscheidung, weil hier kein solcher Fall vorliegt.
cc) Indessen ist nicht zu übersehen, dass dem zur Kündigung herangezogenen Pflichtenverstoß ein sehr geringes Gewicht zukommt. Das Gewicht der Belastung des Arbeitsverhältnisses ist gering. Durch den formalen Verstoß sind keinerlei Außenwirkungen, etwa in Form rechtlicher Verpflichtungen der Dienststelle, hervorgerufen worden. Es ist auch nicht vorgetragen worden, dass diese vier E-Mails an die Innenrevision innerbetrieblich zu Aufwand, geschweige denn zu größerem Aufwand, geführt hätten. Bei diesem geringeren Gewicht des Pflichtverstoßes ist vertretbar, wenn die Vorinstanz im Ergebnis angenommen hat, es sei nicht billigenswert, wegen dieser vier E-Mails das Arbeitsverhältnis durch eine ordentliche Kündigung zu beenden.
dd) Auf zuvor abgemahntes Verhalten des Mitarbeiters C kann die ordentliche Kündigung nicht gestützt werden, mag die Dienststellenleitung auch der Ansicht sein, diese vier E-Mails hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. Auf vorangegangenes Fehlverhalten kann zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung nicht mehr zurückgegriffen werden, wenn es Gegenstand einer Abmahnung geworden ist (vgl. BAG, Urteil vom 26. November 2009 - 2 AZR 751/08 - AP Nr. 61 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Die vorherigen Abmahnungen können nur dazu dienen, aufzuzeigen, dass bei gegebenem Kündigungsgrund eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar wäre. Darauf kommt es aber hier nicht an, weil es nach der vertretbaren Entscheidung der Vor-instanz schon am Kündigungsgrund selbst fehlt.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).