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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:23.02.2012
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/T60-11
Rechtsgrundlage:MVG.K § 65, § 22 Abs.1 bis 3
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Braunschweig, H 11 und I 11
Schlagworte:Zustimmungsersetzung zur außerordentlichen Kündigung eines Mitgliedes der Mitarbeiter-vertretung
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Leitsatz:

1. Zumindest bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung (§ 626 BGB) ist gegen eine Kürzung der Frist für die Stellungnahme der Mitarbeitervertretung auf fünf Tage regelmäßig nichts zu erinnern.
2. Die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages (§ 626 BGB) mit einem Mitarbeiter, der der Mitarbeitervertretung angehört, setzt voraus, dass es der Dienststellenleitung auch ohne den besonderen Amtsschutz des Mitarbeiters nicht zuzumuten ist, den Mitarbeiter auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung weiter zu beschäftigen (vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 29. Mai 2009 - II-0124/M22-06 - ZMV 2006, 247).

Tenor:

Die Beschwerden der Mitarbeitervertretung gegen die Beschlüsse der Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk Braunschweig - vom 9. August 2011 - Az. H 11 und I 11 - werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung zur außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung des Vorsitzenden der beschwerdeführenden Mitarbeitervertretung.
Die Antragstellerin gehört dem Diakonischen Werk der Ev.-luth. Landeskirche in Braun-schweig e.V. an. Sie betreibt eine Einrichtung für etwa 114 Bewohner und beschäftigt dort etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Herr D ist examinierter Altenpfleger und bei der Antragstellerin als Pflegefachkraft angestellt. Bei der Antragstellerin besteht die beschwerdeführende Mitarbeitervertretung. Herr D ist deren Vorsitzender.
Die Antragstellerin beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis des Herrn D außerordentlich aus verhaltensbedingten Gründen wegen einer Reihe grober Arbeitsmängel, vor allem in der Pflege von Bewohnerinnen, deren Bezugspfleger er war, und wegen des Fehlens von Aufzeichnungen in den die Pflegetätigkeiten begleitenden Dokumentationen bei mehreren Bewohnerinnen, zu kündigen, nachdem sie Herrn D im Laufe der Zeit eine Reihe einschlägiger Abmahnungen erteilt hatte.
Am 1. Mai 2011 fand in der Einrichtung der Antragstellerin eine Qualitätsprüfung durch eine externe Beratungsgesellschaft statt. Der Prüfer, ein Diplom-Pflegewirt, prüfte dabei die Versorgungssituation der von Herrn D zu betreuenden und zu pflegenden Bewohnerin E. Bei Frau E liegen folgende Diagnosen vor: Diabetes Mellitus Typ 2, Niereninsuffizienz, Anämie und arterieller Hypertonus. Frau E war wegen einer diabetischen Gangrän der linken Großzehe mit Osteomyelitis im Grund- und Endglied am 1. April 2011 die Großzehe amputiert worden. Am 11. April 2011 war Frau E in die Einrichtung zurückgebracht worden, um hier von Herrn D bzw. unter dessen Aufsicht weiterhin versorgt und gepflegt zu werden.
Der Prüfer stellte dabei mittels einer sog. Risiko-Potenzial-Analyse fest, dass die Dokumentationsplanung für die Bewohnerin E, der Herr D als Bezugspfleger zugeteilt war, auf den 6. August 2009 datiert war und dass seitdem keine weitere Planung von Herrn D vorgenommen oder eingetragen worden war. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass bei Frau E in den letzten 22 Monaten trotz einer massiven Verschlechterung des Zustandes keine Evaluation vorgenommen oder dokumentiert worden war.
Die Antragstellerin wandte sich mit ihrem Schreiben vom 10. Mai 2011 an die Mitarbeitervertretung und bat um deren Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages mit Herrn D. Die Mitarbeitervertretung verlangte, die Angelegenheit zu erörtern. Die Erörterung fand am 16. Mai 2011 statt und wurde am selben Tag von der Antragstellerin für beendet erklärt.
Am 30. Mai 2011 hat die Antragstellerin die Schiedsstelle angerufen (Az.: H 11). Wegen der Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens in jenem Verfahren wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 30. Mai, 11. Juli und 1. August 2011 Bezug genommen. Sie hat - soweit für die Beschwerde von Interesse - beantragt,
die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu der geplanten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Herrn D zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, wegen der Abkürzung der Stellungnahmefrist auf fünf Tage keine hinreichende Zeit gehabt zu haben, sich mit dem Sachverhalt zu beschäftigen, hält die beabsichtigte außerordentliche Kündigung für nicht gerechtfertigt und weist u. a., darauf hin, dass Herr D laufend Überlastungsanzeigen an die Dienststellenleitung gerichtet habe, die Antragstellerin hierauf aber nicht sachgerecht reagiert habe. Wegen der Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Verfahren H 11 wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 14. und 23. Juni sowie vom 1. Juli 2011 Bezug genommen.
Die Schiedsstelle gab dem Antrag der Dienststellenleitung durch ihren Beschluss vom 9. August 2011 statt.
II. Am 31. Mai 2011 hat die Antragstellerin die Mitarbeitervertretung erneut schriftlich um deren Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages mit Herrn D gebeten. Am 7. Juni 2011 fand eine Erörterung mit der Mitarbeitervertretung statt. Nachdem die Antragstellerin die Erörterung für beendet erklärt hatte, rief sie am 7. Juni 2011 die Schiedsstelle an (Az.: I 11).
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, Herr D sei vertretungsweise bei der Bewohnerin F eingesetzt gewesen. Eine Mitarbeiterin habe im Berichtspflegeblatt am 18. Mai 2011 bei Frau F eine dunkelrote Stelle am rechten Fuß festgestellt und um weitere Beobachtung gebeten. Bis zum 24. Mai 2011 sei weder von Herrn D, noch von jemand Anderem eine diesbezügliche Eintragung in das Berichtspflegeblatt vorgenommen worden. Am 24. Mai 2011 sei der Fuß der Frau F auf Veranlassung von deren Tochter untersucht worden. Dabei sei festgestellt worden, dass sich die vormals rote Stelle zu einer nekrotischen Wunde, einem Dekubitus mit gerötetem Wundrand und blutigen Wundtaschen entwickelt habe. Nachträglich habe Herr D dann am 24. Mai 2011 einen Eintrag in die Pflegedokumentation der Frau F erstellt. Zudem seien am 17. Mai 2011 weitere Mängel in der Pflegedokumentation eines weiteren Bewohners festgestellt worden. Herr D sei Bezugspflegekraft auch dieses Bewohners gewesen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin im Verfahren I 11 wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 7. Juni und 1. August 2011 Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu der geplanten außerordentlichen fristlosen Kündigung des Herrn D zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
auch diesen Antrag zurückzuweisen.
Sie meint, auch diese Vorwürfe rechtfertigten keine außerordentliche Kündigung. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens in diesem erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes nebst Anlagen vom 27. Juni 2011 Bezug genommen.
In diesem Verfahren hat die Vorinstanz dem Antrag der Dienststellenleitung durch den Beschluss vom 9. August 2011 stattgegeben.
Gegen den Beschluss zu dem Aktenzeichen H 11 wendet sich die Mitarbeitervertretung mit ihrer am 21. Oktober 2011 (Fax) eingereichten Beschwerde (Aktenzeichen des KGH.EKD II-0124/T56-11). Gegen den Beschluss zu dem Aktenzeichen I 11 hat die Mitarbeitervertretung am 15. Dezember 2011 (Fax) Beschwerde eingelegt (Aktenzeichen des KGH.EKD II-0124/T60-11). Nach näherer Maßgabe ihrer Beschwerdebegründungsschriften vom 21. Oktober und vom 15. Dezember 2011 hält sie die Beschlüsse für unrichtig.
Sie hebt nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 25. Januar 2011 hervor, dass die Mitarbeitervertretung die Einlegung der Beschwerde ordnungsgemäß beschlossen habe, und beantragt,
die Beschwerden zur Entscheidung anzunehmen, die angefochtenen Beschlüsse abzuändern und die Anträge der Dienststellenleitung zurückzuweisen.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerden zurückzuweisen.
Sie rügt, die Mitarbeitervertretung habe die Einlegung der Beschwerden nicht ordnungsgemäß beschlossen, und verteidigt die angefochtenen Beschlüsse. Wegen der Einzelheiten ihres zweitinstanzlichen Vorbringens wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen vom 18. November 2011 und vom 12. Januar 2012 Bezug genommen.
Die Beschwerdeverfahren sind unter dem führenden Aktenzeichen II-0124/T6011 miteinander verbunden worden (Beschluss vom 9. Februar 2012).
III. Die Beschwerden waren nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil hierfür kein Grund gegeben ist.
1. Nach § 65 Abs. 2 Satz 1 MVG.K wie auch nach § 63 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD bedarf die Beschwerde gegen Beschlüsse der Kirchengerichte der Annahme durch den Kirchengerichtshof der EKD. Sie ist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 MVG.K wie auch nach § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD anzunehmen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen, 2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland, eines obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 4. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem der Beschluss beruhen kann.
Der geltend gemachte Annahmegrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 65 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MVG.K, § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 MVG.EKD) liegt nicht vor.
2. Ernstliche Zweifel an der materiellrechtlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegen gesetzten Entscheidung genügt nicht (st. Rechtsprechung des KGH.EKD, zuletzt Beschluss vom 28. November 2011 I-0124/T40-11 - www.ekd.de). Maßgeblich ist, dass die Entscheidung in der Sache, nicht aber nur deren Begründung, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anders ausgehen wird. Die Gründe, aus denen sich die ernstlichen Zweifel an der materiellen Richtigkeit der Entscheidung ergeben sollen, müssen innerhalb der Beschwerdebegründungsfrist schriftsätzlich vorgetragen worden sein.
3. Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Die von der beschwerdeführenden Mitarbeitervertretung nicht erteilte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages mit Herrn D (§ 22 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 MVG.K) wäre nach § 22 Abs. 1 Satz 3 MVG.K nicht zu ersetzen gewesen, wenn die Anhörung der Mitarbeitervertretung unzureichend gewesen wäre oder wenn kein Grund für die beabsichtigte außerordentliche Kündigung vorläge.
a) Die von der Mitarbeitervertretung gerügte Fristverkürzung auf fünf Tage ist in § 22 Abs. 3 Satz 3 MVG.K ausdrücklich vorgesehen. Zumindest bei der außerordentlichen fristlosen Kündigung (§ 626 BGB), wie sie hier beabsichtigt ist, ist gegen eine solche Fristverkürzung nichts zu erinnern. Dies hat die Vorinstanz richtig erkannt.
b) Auch hinsichtlich der Rechtfertigung der Kündigung ist eine von der Vorinstanz im Ergebnis abweichende Würdigung nicht überwiegend wahrscheinlich.
Die Vorinstanz ist von den zutreffenden Rechtssätzen ausgegangen. Die Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsvertrages (§ 626 BGB) mit einem Mitarbeiter, der der Mitarbeitervertretung angehört, setzt voraus, dass es der Dienststellenleitung auch ohne den besonderen Amtsschutz des Mitarbeiters nicht zuzumuten ist, den Mitarbeiter auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung weiter zu beschäftigen (vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 29. Mai 2009 - II-0124/M22-06 - ZMV 2006, 247).
Die subsumierende Würdigung der Vorinstanz ist nachvollziehbar. Die gegen Herrn D erhobenen Vorwürfe wiegen schwer. Die zahlreichen Abmahnungen betreffen immer wieder ein gleichgeartetes Fehlverhalten des Herrn D; sie können aber nicht derart verstanden werden, dass Herr D annehmen durfte, er müsse die Abmahnungen bzw. die darin zum Ausdruck gekommene Kündigungsandrohung nicht ernst nehmen. Soweit Herr D auf seine zahlreichen Überlastungsanzeigen zurückgreifen möchte, hat die Vorinstanz eine durchaus nachvollziehbare rechtliche und tatsächliche Korrelation mit den zur Kündigungsabsicht herangezogenen Tatbeständen vorgenommen. Die Überlastungsanzeigen betreffen einen Zeitraum, der vor den zur Kündigungsabsicht herangezogenen Geschehensabläufen liegt. Die Abwägung, dass es für die Dienststellenleitung unzumutbar sei, Herrn D auch nur bis zum Ablauf der (fiktiven) Frist für eine ordentliche Kündigung seines Arbeitsvertrags weiter zu beschäftigen, ist nachvollziehbar.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).