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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:13.12.2010
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/S17-10
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 28 Abs. 2, § 34 Abs. 1 Satz 1, § 35 Abs. 1 Satz 1
Vorinstanzen:Kirchengericht der Ev.-luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz, Az.: 26/0-6/4-677, Fundstelle: ZMV 6/2011, S. 331
Schlagworte:Mitteilung der Anschriften der für längere Zeit dienstverhinderten Mitarbeiter
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Leitsatz:

1. Die Zugehörigkeit des Mitarbeiters zur Dienststelle wird durch eine nur vorübergehende Verhinderung an der Arbeitsleistung nicht abgebrochen oder unterbrochen.
2. Die vorübergehende Abwesenheit des Mitarbeiters von der Dienststelle hat nicht zur Folge, dass es der Mitarbeitervertretung untersagt wäre, auf einem anderen Weg als dem über den üblichen Aushang am schwarzen Brett, Kontakt zu einem solchen Mitarbeiter aufzunehmen.
3. Weil die Zugehörigkeit zur Dienststelle bestehen bleibt, hat die Mitarbeitervertretung im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben auch das Recht, mit derart abwesenden Mitarbeitern in Kontakt zu treten. Solche Kontaktaufnahme kann insbesondere dann geboten sein, wenn es um Fragen des künftigen Einsatzes eines vorübergehend verhinderten Arbeitnehmers, z.B. nach Rückkehr aus der Elternzeit oder aus langdauernder Krankheit geht. Ein möglicher Weg der Kontaktaufnahme durch die Mitarbeitervertretung besteht darin, einen Brief an den Mitarbeiter zu schreiben und ihm diesen an seine Privatanschrift zuzusenden. Hierzu ist die Kenntnis der Privatanschrift erforderlich.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Mitarbeitervertretung wird der Beschluss des Kirchengerichts der Ev.-luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz vom 20. Oktober 2009 - 26/0-6/4-677 - abgeändert:
Die Dienststellenleitung ist verpflichtet, die Mitarbeitervertretung namentlich über die (jeweils aktuell) vorübergehend ohne Unterbrechung länger als sechs Wochen nicht in der Dienststelle beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterrichten und deren private Postanschrift mitzuteilen, es sei denn, der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin hatte dem zuvor widersprochen.

Gründe:

I. Die antragstellende Mitarbeitervertretung begehrt von der Dienststelle, sie unter Bekanntgabe der Privatanschriften über die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterrichten, die für die Zeit von mindestens sechs zusammenhängenden Wochen vorübergehend in der Dienststelle nicht tatsächlich beschäftigt werden, z.B. infolge Langzeiterkrankung, Elternzeit, Mutterschutz oder Sonderurlaubs.
Die Mitarbeitervertretung hat geltend gemacht, sie benötige die Unterrichtung, um mit den aus den genannten Gründen abwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Kontakt treten zu können. Wegen der Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes nebst Anlagen vom 13. Juli 2009 Bezug genommen.
Sie hat beantragt,
1. festzustellen, dass die Dienststellenleitung mit ihrer Verweigerung der Herausgabe der von der Mitarbeitervertretung beantragten Privatanschriften von bestimmten Mitarbeitern gegen deren Informationsrechte verstößt,
2. festzustellen, dass dadurch eine Behinderung der Mitarbeitervertretung besteht,
3. die Dienststellenleitung zur Herausgabe der von der Mitarbeitervertretung beantragten Informationen zu verpflichten.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Mitarbeitervertretung benötige die Privatanschriften nicht zur Durchführung ihrer Aufgaben; die Herausgabe der Privatanschriften verstoße gegen den Datenschutz. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Dienststellenleitung im ersten Rechtszug wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 29. Juli 2009 Bezug genommen.
Das Kirchengericht hat die Anträge durch seinen Beschluss vom 20. Oktober 2009 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Mitarbeitervertretung benötige die Unterrichtung, vor allem die Privatanschriften, nicht zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Mitarbeitervertretung mit ihrer Beschwerde. Sie hebt hervor, die Informationen über die länger als sechs Wochen ohne Unterbrechung abwesenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Privatanschriften zu benötigen, um mit diesen im Rahmen ihrer Aufgaben nach den § 34 Abs. 1 Satz 1, § 35 MVG.EKD in Kontakt treten zu können. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Mitarbeitervertretung im Beschwerderechtszug wird auf den Inhalt ihres Schriftsatzes vom 25. Februar 2010 Bezug genommen.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Dienststellenleitung zu verpflichten, die Mitarbeitervertretung namentlich über die (jeweils aktuell) vorübergehend ohne Unterbrechung länger als sechs Wochen nicht in der Dienststelle beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu unterrichten und deren private Postanschrift mitzuteilen, es sei denn, der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin hatte dem zuvor widersprochen.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 8. Dezember 2010, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird.
Der Kirchengerichtshof der EKD hat die Beschwerde durch seinen Beschluss vom 22. November 2010 zur Entscheidung angenommen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Der in der Beschlussformel näher beschriebene Anspruch der Mitarbeitervertretung folgt aus § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD. Dies hat die Vorinstanz verkannt.
1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD ist die Mitarbeitervertretung zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten.
a) Der Unterrichtungsanspruch nach § 34 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD setzt voraus, dass die Mitarbeitervertretung die begehrte Unterrichtung benötigt, um prüfen zu können, ob sich für sie Aufgaben i.S. des Mitarbeitervertretungsrechts ergeben, und ob sie zur Wahrnehmung einer solchen Aufgabe tätig werden muss oder will; die Grenze des Auskunftsanspruchs liegt dort, wo ein Beteiligungsrecht offenkundig nicht in Betracht kommt (KGH.EKD in ständiger Rechtsprechung, Beschluss vom 12. Juli 2010 - I-0124/R82-09 - ZMV 2010, 319; Beschluss vom 29. Mai 2006 - II-0124/M6-06 - ZMV 2006, 306 m.w.N.). Scheidet aus, dass ein Beteiligungsrecht der Mitarbeitervertretung offenkundig nicht in Betracht kommt, so ist der Unterrichtungsanspruch begründet, wenn ein entsprechender allgemeiner Unterrichtungsbedarf der Mitarbeitervertretung vorliegt; auf einen aktuellen Anlass oder gar ein zu vermutendes oder vermutetes Fehlverhalten der Dienststellenleitung kommt es insoweit nicht an (vgl. zu § 80 BetrVG: BAG, Beschluss vom 19. Februar 2008 - 1 ABR 84/06 - AP Nr. 69 zu § 80 BetrVG 1972).
b) Der Unterrichtungsanspruch zeigt je nach Lage des Falles unterschiedliche Ausprägungen auf. Eine Ausprägung besteht darin, dass die Mitarbeitervertretung berechtigt ist, von der Dienststellenleitung Informationen zu verlangen, um prüfen zu können, ob und inwieweit ein Tätigwerden der Mitarbeitervertretung im Rahmen der ihr mitarbeitervertretungsgesetzlich obliegenden Zuständigkeit und Aufgaben erforderlich oder geboten ist. Letzte Ausprägung betrifft insbesondere die Fälle, in denen die Mitarbeitervertretung zu prüfen hat, ob sie im Interesse der Förderung der beruflichen, wirtschaftlichen Belange der Mitarbeiter (§ 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD) tätig werden muss, soll oder kann.
c) Nach § 28 Abs. 2 MVG.EKD haben die Mitglieder der Mitarbeitervertretung das Recht, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an ihrem Arbeitsplatz aufzusuchen, sofern dies zur Erfüllung der Aufgaben der Mitarbeitervertretung erforderlich ist. Der Anlass für eine solche Kontaktaufnahme kann nicht zuletzt in der Wahrnehmung von Aufgaben nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD bestehen. Diese Möglichkeit der Kontaktaufnahme am Arbeitsplatz scheidet aus, wenn ein Mitarbeiter vorübergehend nicht in der Dienststelle tätig ist.
d) Die Zugehörigkeit des Mitarbeiters zur Dienststelle wird durch eine nur vorübergehende Verhinderung an der Arbeitsleistung nicht abgebrochen oder unterbrochen (vgl. für das BetrVG: BAG, Beschluss vom 29. März 1974 - 1 ABR 27/73 - EzA § 19 BetrVG 1972 Nr. 2). Erst durch das völlige Ausscheiden des Mitarbeiters aus der Dienststelle, z.B. durch Kündigung oder Auflösungsvertrag oder während der Freistellungsphase während der Altersteilzeit, erlischt die Zugehörigkeit (vgl. für das BetrVG: BAG, Beschluss vom 16. April 2003 - 7 ABR 53/02 - EzA § 9 BetrVG 2001 Nr. 1).
e) Die vorübergehende Abwesenheit des Mitarbeiters von der Dienststelle hat indessen nicht zur Folge, dass es der Mitarbeitervertretung untersagt wäre, auf einem anderen als dem üblichen Weg durch Aushang am schwarzen Brett, Kontakt zu einem solchen Mitarbeiter aufzunehmen. Weil die Zugehörigkeit zur Dienststelle bestehen bleibt, hat die Mitarbeitervertretung im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben auch das Recht, mit derart abwesenden Mitarbeitern in Kontakt zu treten. Solche Kontaktaufnahme kann insbesondere dann geboten sein, wenn es um Fragen des künftigen Einsatzes eines vorübergehend verhinderten Arbeitnehmers, z.B. nach Rückkehr aus der Elternzeit oder aus langdauernder Krankheit, geht. Ein möglicher Weg der Kontaktaufnahme durch die Mitarbeitervertretung besteht darin, einen Brief an den Mitarbeiter zu schreiben und ihm diesen an seine Privatanschrift zuzusenden. Hierzu ist die Kenntnis der Privatanschrift erforderlich.
f) Allerdings folgt nicht aus jeder kurzzeitigen Abwesenheit des Mitarbeiters ein anzuerkennender Bedarf der Mitarbeitervertretung, mit diesem Mitarbeiter brieflich Kontakt aufzunehmen. Vielmehr muss die Abwesenheit ohne Unterbrechung erheblich sein. Als erheblich ist es jedenfalls anzusehen, wenn die Abwesenheit das Maß eines ununterbrochenen Jahresurlaubs erreicht oder überschreitet.
g) Allerdings handelt die Mitarbeitervertretung nicht mehr im Rahmen ihrer Zuständigkeit unter dem Gesichtspunkt der Förderung der Belange des einzelnen abwesenden Mitarbeiters nach § 35 Abs. 1 Satz 1 MVG.EKD, wenn dieser der Kontaktaufnahme durch die Mitarbeitervertretung widersprochen hat. In solchem Fall benötigt die Mitarbeitervertretung nicht die Privatanschrift des Mitarbeiters.
2. Der Sachantrag der Mitarbeitervertretung hält sich in diesem vorstehend aufgezeigten Rahmen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Mitarbeitervertretung die Daten, deren Mitteilung durch die Dienststellenleitung sie begehrt, anderweitig zur Verfügung stehen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).