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Kirchengericht: | Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 05.11.1998 |
Aktenzeichen: | VerwG.EKD 0124/C16-98 |
Rechtsgrundlage: | MVG § 46 Buchst. a) und h), § 63 Abs. 1 Buchst. a) und b), BetrVG 1972 § 111 , VGG.EKD § 13 Abs. 2, 16 Satz 1, VwGO §§ 101 Abs. 2, 130 a |
Vorinstanzen: | Schlichtungsstelle der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs, Az.: 7/97; Fundstellen: Die Mitarbeitervertretung 1/99 S.42; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1999 S. 28 |
Schlagworte: | Einschränkung von Dienststellen und Mitberatung |
Leitsatz:
Wird ein Dienststellenteil auf einen anderen Rechtsträger übertragen, handelt es sich um die Einschränkung einer Dienststelle im Sinne von § 46 Buchst. a) MVG.
Ein Mitberatungsrecht der Mitarbeitervertretung setzt auch hier voraus, daß die Einschränkung "erheblich" ist. Als Maßstab gilt insoweit § 17 Abs. 1 KSchG (im Anschluß an BAG, z.B. v. 7. August 1990, AP Nr. 30 zu § 111 BetrVG 1972).
Tenor:
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Schlichtungsstelle der Ev.-Luth. Landeskirche Mecklenburgs vom 2. Juni 1998 - 7/97 - wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert beträgt auch im Beschwerdeverfahren 8.000,- (achttausend) DM.
Gründe:
I. Die Antragsgegnerin betreibt in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins eine Vielzahl diakonischer Arbeitsbereiche. Sie beschäftigt rund 300 Dienstnehmerinnen und Dienstnehmer. Zu ihren Aufgaben gehörte bis zum Jahreswechsel 1997/98 auch die Sucht- und Drogenberatung mit neun Dienstnehmern. Zum Jahreswechsel übertrug die Antragsgegnerin diesen Teil ihrer Aufgaben auf eine gGmbH. Die Dienstverhältnisse der betroffenen Mitarbeiter gingen bis auf eine Ausnahme auf die Übernehmerin und neue Dienstgeberin über.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragstellerin als Mitarbeitervertretung wegen des teilweisen Dienststellenübergangs ein Mitberatungsrecht zustand und ob dieses durch das Vorgehen der Antragsgegnerin verletzt worden ist.
Die Antragstellerin hat geltend gemacht, ihr stehe ein Mitberatungsrecht nach § 46 MVG zu. Die Antragsgegnerin habe sie nicht in gehöriger Weise unterrichtet und beteiligt. Daher sei die umstrittene Maßnahme nach § 45 Abs. 2 Satz 1 MVG unwirksam.
Die Antragstellerin hat beantragt festzustellen,
daß die Überführung von Teilen der Dienststelle zum 1. Januar 1998 in die Träger-schaft einer gGmbH unwirksam ist.
Die Antragsgegnerin hat um Zurückweisung des Antrags nachgesucht und vorgetragen: Ein Mitberatungsrecht sei wegen der geringen Größe der Sucht- und Drogenberatungsstelle nicht gegeben. Darüber hinaus habe sie die Antragstellerin aber auch seit Juli 1997 eingehend informiert. Nach wei-teren Beratungen habe die Antragstellerin am 28. Oktober 1997 der geplanten Maßnahme grundsätzlich zugestimmt.
Die Schlichtungsstelle hat den Antrag durch Beschluß vom 2. Juni 1998 zurückgewiesen und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Ein Mitberatungsrecht der Antragstellerin bestehe nicht, weil bei lediglich neun betroffenen Mitarbeitern von rund 300 Mitarbeitern der Dienststelle keine Ausgliederung eines erheblichen Teils der Dienststelle vorliege. In derartigen Fällen bestehe kein Mitberatungsrecht im Sinne von § 46 Buchst. a) MVG. Darüber hinaus müsse sich die Antragstellerin an ihrer grundsätzlichen Zustimmung zum Trägerwechsel, die nach umfassender Unterrichtung am 28. Oktober 1997 erfolgt sei, festhalten lassen, auch wenn der neue Träger erst im Dezember 1997 festgestanden habe.
Gegen den ihr am 30. Juni 1998 zugestellten Beschluß der Schlichtungsstelle hat die Antrag-stellerin mit Anwaltsschriftsatz vom 22. Juli 1998 Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Sie macht noch einmal geltend, daß sie entgegen den Feststellungen der Schlichtungsstelle nicht umfassend über die Pläne der Antragsgegnerin und die weitere Entwicklung informiert worden sei und daher auch ihre Mitberatungsrechte nicht habe wahrnehmen können. Erschwerend komme hinzu, daß die gGmbH am 19. Dezember 1997, als die Antragsgegnerin sie über den Übergang in Kenntnis gesetzt habe, rechtlich überhaupt noch nicht existiert habe.
Weiter trägt die Antragstellerin vor: Die Sucht- und Drogenberatungsstelle stelle als geschlossene eigenständige Abteilung und damit als organisatorische Einheit, die als eigenständige Aufgabe die Sucht- und Drogenberatung wahrnimmt, einen Betrieb dar. Die Antragsgegnerin bestehe aus einer Vielzahl in sich abgeschlossener betrieblicher Einrichtungen mit einer Vielzahl unter-schiedlicher Zielsetzungen und arbeitstechnischer Zwecke. Dagegen stelle sie selbst ein Unternehmen dar, nämlich eine organisatorische Einheit, mit der bestimmte ideelle Zwecke verfolgt würden. Die Staffel des § 17 KSchG sei betriebsbezogen. Da in der Sucht- und Drogenberatungsstelle neun Mitarbeiter beschäftigt seien und alle neun von dem Übergang betroffen seien, liege bei Anwendung der Staffel des § 17 KSchG ein Anwendungsfall der Mitberatung nach § 46 Buchst. a) MVG vor.
Die Schlichtungsstelle habe überdies den Terminus „Erheblichkeit“ im Sinne des § 46 Buchst. a) MVG verkannt.
Zudem liege eine Übertragung von Arbeitsbereichen auf Dritte im Sinne des § 46 Buchst. h) MVG vor. Ein solcher Fall sei auch dann gegeben, wenn die Übertragung, wie hier, auf einen eigens zum Zwecke der Übertragung gegründeten Dritten erfolge. Dritter sei jeder rechtlich selbständige Träger. Die gGmbH stelle einen solchen selbständigen Träger dar. Es komme hier nicht darauf an, wieviele Arbeitsplätze auf einen Dritten übertragen würden, sogar der Übergang eines einzelnen Arbeitsplatzes reiche aus, um ein Mitberatungsrecht anzunehmen.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin beantragt,
den angefochtenen Beschluß der Schlichtungsstelle zu ändern und dem vor der Schlichtungs-stelle gestellten Antrag zu entsprechen.
Die Antragsgegner und Beschwerdegegner beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen und verteidigt den angefochtenen Beschluß mit ein-gehenden Rechtsausführungen.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten, insbesondere wegen aller Einzelheiten, wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst allen Anlagen verwiesen.
II. Die Beschwerde ist statthaft nach § 63 Abs. 1 Buchst. a) und b) MVG. Sie ist auch fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben. Die Schlichtungsstelle hat richtig entschieden.
1. Nach § 46 Buchst. a) MVG hat die Mitarbeitervertretung ein Mitberatungsrecht (§ 45) bei der Einschränkung von Dienststellen oder erheblichen Teilen von ihnen. Wird - wie hier - ein Teil einer Dienststelle auf einen anderen (erst neu gegründeten) Rechtsträger übertragen, so handelt es sich ebenfalls um eine Dienststelleneinschränkung (zutr. Baumann-Czichon/Germer, MVG.EKD (1997), § 46 Rn 3 m.w.N.). Voraussetzung für ein Mitberatungsrecht ist aber, daß die Einschränkung „erheblich“ ist. Das Bundesarbeitsgericht verwendet insoweit (zu dem entsprechenden § 111 Satz 2 BetrVG) die Bestimmung des § 17 KSchG als Maßstab (vgl. nur B. v. 7. August 1990, AP Nr. 30 zu § 111 BetrVG 1972). Danach müssen bei Dienststellen von 60 bis 499 Dienstnehmern entweder 10% der Dienstnehmer oder mehr als 25 betroffen sein (zust. Baumann-Czichon/Germer, aaO Rn 4).
Vorliegend waren von der Dienststelleneinschränkung bei 300 Dienstnehmern nur neun Dienstnehmer betroffen. Damit erweist sich die Maßnahme der Antragsgegnerin, wie die Schlichtungsstelle zu Recht ausgeführt hat, als nicht erheblich im Sinne der gesetzlichen Regelung mit der Rechtsfolge, daß ein Mitberatungsrecht entfällt. Ob die Antragstellerin, wie sie behauptet, nicht ausreichend informiert und dadurch an einer Mitberatung gehindert worden ist, bleibt bei dieser Rechtslage für die Entscheidung ohne Bedeutung.
2. Nicht zu folgen ist der Argumentation der Antragstellerin, die Antragsgegnerin stelle ein „Unternehmen“ dar und die Sucht- und Drogenberatungsstelle einen „Betrieb“ mit der Rechtsfolge, daß die Erheblichkeitsstaffel des § 17 KSchG, weil betriebsbezogen, allein auf die Beratungsstelle anzuwenden sei, so daß bei neun Dienstnehmern und nun betroffenen die Erheblichkeit der Maßnahme zu bejahen sei.
Die allgemeinen arbeitsrechtlichen Begriffe „Unternehmen“ und „Betrieb“ (zu ihnen allgemein Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 1 Rn 55, 142) sind dem Mitarbeitervertretungsgesetz unbekannt. Dieses spricht von „Dienststellen“, wozu (neben den rechtlich selbständigen Körperschaften, Anstalten, Stiftungen und Werken) die „Einrichtungen“ der Diakonie gehören (§ 3 Abs. 1 MVG). Als „Dienststellen“ gelten auch „Dienststellenteile“, die durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig oder räumlich weit entfernt vom Sitz des Rechtsträgers sind, jedoch nur dann, wenn bei ihnen die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 vorliegen, wenn die Mehrheit ihrer wahlberechtigten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dies in geheimer Abstimmung beschließt und wenn darüber Einvernehmen mit der Dienststellenleitung herbeigeführt wird (§ 3 Abs. 2 Satz 1 MVG). Daß die Sucht- und Drogenberatungsstelle in diesem Sinne ein „Dienststellenteil“ sei, dafür haben die Beteiligten nichts vorgetragen, es ist auch sonst nicht ersichtlich.
Eine besondere Bedeutung ist der Beratungsstelle auch nicht deswegen zuzuerkennen, weil sie eine eigenständige Abteilung mit herausragender Bedeutung sei. Es ist nicht einzusehen, daß der Sucht- und Drogenberatung eine größere Bedeutung beizumessen wäre als den übrigen Aufgaben der Antragsgegnerin, nämlich Fürsorge für Kinder und Jugendliche, für Kranke, Alte und Schwache.
3. Schließlich liegt bei der Ausgliederung der Sucht- und Drogenberatungsstelle auch keine „dauerhafte Vergabe von Arbeitsbereichen an Dritte, die bisher von Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Dienststelle wahrgenommen werden“ vor (§ 46 Buchst. h) MVG). Voraussetzung hierfür ist, daß bestimmte Aufgaben, die bisher in der Dienststelle erledigt wurden, auch weiterhin in der Dienststelle wahrgenommen werden, aber von außenstehenden, also einrichtungsfremden Arbeitnehmern erfüllt werden. Das ist hier nicht der Fall. Der Aufgabenbereich Sucht- und Drogenberatung wird eben nicht mehr als Aufgabe der Dienststelle erledigt, sondern ist von einem anderen Dienstgeber übernommen worden. Daher liegt ein Fall des § 46 Buchst. a) MVG vor (vgl. die zutr. Unterscheidung von Leser/Fey/Rehren in Fey/Rehren (Hrsg.) MVG.EKD, Stand Juli 1997, § 46 Rn 39).
4. Die Kostenregelung beruht auf § 13 Abs. 2 VGG.EKD, die Festsetzung des Gegenstandswertes auf § 8 Abs. 2 BRAGO.
5. Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 16 Satz 1 VGG.EKD, § 101 Abs. 2 VwGO).