.
Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:13.11.2010
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/R83-09
Rechtsgrundlage:MVG.EKD Präambel, § 41 Abs. 1 Buchstabe a) , § 42 Buchstabe c) Satzung des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein -Landesverband der inneren Mission e.V. vom 2. November 2006 § 7 Nr. 4 Satzung des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein -Landesverband der inneren Mission e.V. vom 5. November 2009 § 5 Nr. 2 Buchstabe h
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer II Schleswig-Holstein, I-03/09 (RD), Fundstelle: KuR 4/2011, S. 137
Schlagworte:NEK - Eingruppierung, erster Weg
#

Leitsatz:

Der Begriff der Dienstgemeinschaft (Präambel zum MVG.EKD) ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Eben diese Unbestimmtheit hat zur Folge, dass jede eigenständige Kirche im Rahmen ihrer Autonomie diesen Begriff mit einem ihrem eigenen Verständnis entsprechenden Inhalt füllen und Schlussfolgerungen daraus ziehen kann, auch wenn sie das MVG.EKD nach näherer Maßgabe ihres eigenen Kirchenrechts übernommen hat oder anwendet.

Tenor:

Die Beschwerde der Gemeinsamen Mitarbeitervertretung gegen den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer II Schleswig Holstein - vom 25. September 2009 - Az.: I-03/09 (RD) - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten im vorliegenden, Anfang 2009 eingeleiteten Rechtsstreit darüber, ob die Mitarbeitervertretung ihre Zustimmung zur Eingruppierung von Mitarbeiterinnen in eine Vergütungstabelle der Dienststelle zu Recht mit der Begründung verweigert hat, die von der Dienststelle (Antragstellerin) kraft Vereinbarung im Arbeitsvertrag angewendete Vergütungstabelle sei - unstreitig - nicht auf dem Dritten Weg entstanden und dürfe im Hinblick auf den Beschluss des KGH.EKD vom 26. März 2007 - II-0124/M10-06 - ZMV 2007, 260 - nicht angewendet werden.
Die Dienststelle gehört dem Diakonischen Werk Schleswig-Holstein - Landesverband der Inneren Mission e.V. - an. Dessen Satzung i.d.F. vom 2. November 2006 bestimmte "Die Mitglieder sollen ... die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der EKD e. V., das in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche geltende Tarifvertragsrecht oder ein in Anlehnung an diese Arbeitsrechtsregelungen gestaltetes Arbeitsvertragsrecht anwenden" (§ 7 "Pflichten der Mitglieder" Nr. 4). Diese Bestimmung ist sprachlich unverändert während des vorliegenden Verfahrens in die Neufassung der Satzung vom 5. November 2009 übernommen worden (§ 5 "Pflichten der Mitglieder" Nr. 2 Buchst. h).
Die antragstellende Dienststellenleitung hat geltend gemacht, es bestehe kein Grund, die Zustimmung zur Eingruppierung in die Vergütungstabelle der Dienststelle zu verweigern. Es existiere für sie nur diese Vergütungstabelle; sollte diese nicht gültig sein, so existiere keine Vergütungsordnung mit der Folge, dass dann auch keine Eingruppierung erforderlich sei. Kirchenrechtlich sei die Dienststelle nicht verpflichtet, eine auf dem Dritten Weg zustande gekommene Vergütungsordnung, z.B. die AVR.DW.EKD, anzuwenden. Weder gebe es in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche ein entsprechendes Gesetz, noch folge dies aus der Satzung des Diakonischen Werkes, noch aus dem Leitbild der Dienstgemeinschaft. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 9., 10., 17. und 20. Februar, 9. und 24. März, 16. April sowie vom 23. Juni 2009 Bezug genommen.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
die verweigerte Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur Eingruppierung von fünf Mitarbeiterinnen in diverse Lohngruppen der Vergütungstabelle der Dienststelle zu ersetzen.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, ihre Zustimmung zu Recht verweigert zu haben. Die Dienststellenleitung wende ein auf dem so genannten Ersten Weg zustande gekommenes Vergütungssystem an. Dies widerspreche dem Leitbild der Dienstgemeinschaft, wie es in der Präambel zum auch in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche anzuwendenden MVG.EKD zum Ausdruck komme. Denn dazu gehöre es, Arbeitsbedingungen in einem Verfahren festzulegen, welches ein strukturelles Gleichgewicht beider Seiten gewährleiste. Daran fehle es beim Ersten Weg. Wegen der weiteren Einzelheiten ihres erstinstanzlichen Vorbringens wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Mitarbeitervertretung vom 2. März, 30. April, 9. Juni und 7. Juli 2009 Bezug genommen.
Das Kirchengericht hat - dem Begehren der Antragstellerin der Sache nach entsprechend - festgestellt, dass die Mitarbeitervertretung keinen Grund hatte, ihre Zustimmung zu den in Rede stehenden Eingruppierungen in die Vergütungstabelle der Dienststelle zu verweigern; diese auf dem Ersten Weg geschaffene Vergütungsordnung sei nicht mit dem Leitbild der Dienstgemeinschaft in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche unvereinbar, weil sie in Anlehnung an die AVR.DW.EKD gestaltet worden ist (Beschluss vom 25. September 2009). Wegen der Einzelheiten wird auf den erstinstanzlichen Beschluss Bezug genommen.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gemeinsame Mitarbeitervertretung mit ihrer Beschwerde. Sie wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze vom 23. November und 16. Dezember 2009, 18. Januar, 14. Mai, 23. Juni und 6. Dezember 2010 Bezug genommen.
Nachdem das Verfahren hinsichtlich der Zustimmung zur Eingruppierung einer Mitarbeiterin erledigt ist, hat der Senat die Beschwerde im Übrigen zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 24. August 2010).
Die Gemeinsame Mitarbeitervertretung beantragt sodann,
den angefochtenen Beschluss abzuändern und die (verbliebenen) Sachanträge zurückzuweisen.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach näherer Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 25. Januar, 29. Juni und 12. November 2010.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Zustimmung wäre nur dann zu Recht verweigert worden, wenn die Eingruppierung (§ 42 Buchstabe c) MVG.EKD) - Anderes kommt vorliegend nicht in Betracht - ihrerseits gegen eine Rechtsvorschrift verstieße (vgl. § 41 Abs. 1 Buchstabe a) MVG.EKD). Das aber ist nicht der Fall.
1. Die Vorinstanz hat zutreffend erkannt, dass die Gemeinsame Mitarbeitervertretung die Zustimmung zu den in Rede stehenden Eingruppierungen zu Unrecht mit der Begründung verweigert hat, die Vergütungsordnung der Dienststelle sei, weil auf dem Ersten Weg geschaffen, nicht mit höherrangigem Recht, vor allem aber nicht mit dem Begriff der Dienstgemeinschaft vereinbar.
2. Die derart begründete Zustimmungsverweigerung wäre nur dann auf einen Rechtsverstoß (§ 41 Abs. 1 Buchstabe a) MVG.EKD) gestützt, wenn in der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche höherrangiges Recht den ihr zugeordneten diakonischen Einrichtungen geböte, nur auf dem Dritten Weg (vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 26. März 2007 - II-0124/M10-06 - ZMV 2007, 260) oder (zumindest) auf dem Nordelbischen ("zweiten") Tarifvertragsweg zustande gekommene Arbeitsrechtsregelungen anzuwenden. Beides aber ist - wie die Vorinstanz richtig erkannt hat - nicht der Fall.
a) Die in Rede stehende Vergütungstabelle entspricht den Anforderungen der Satzung des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein - Landesverband der Inneren Mission e.V. - in den Fassungen vom 2. November 2006 und 5. November 2009. Hiernach "sollen die Mitglieder ... die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der EKD e. V., das in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche geltende Tarifvertragsrecht oder ein in Anlehnung an diese Arbeitsrechtsregelungen gestaltetes Arbeitsvertragsrecht anwenden". Das Verständnis der Mitarbeitervertretung, nur solche Arbeitsrechtsregelungen fielen unter diese Satzungsbestimmung, die in paritätisch besetzten Beschluss- oder Verhandlungsgremien entstanden seien, ist mit dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Satzungsbestimmung des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein - Landesverband der Inneren Mission e.V. - nicht vereinbar. Denn diese Satzungsbestimmung stellt nicht auf den Weg ("Dritter" oder "Zweiter" Weg) oder die Methode des Zustandekommens, sondern auf den wesentlich gleichen Inhalt der Arbeitsrechtsregelung ab.
Dass es sich bei der Vergütungstabelle um eine mit den AVR.DW.EKD wesentlich gleiche Regelung handelt, ist in der Vorinstanz als unstreitig festgestellt worden. Diese wertende Tatsachenfeststellung ist in der Beschwerdebegründungsfrist nicht angegriffen worden; die von der Beschwerdeführerin erstmals in der mündlichen Verhandlung über die Beschwerde vorgebrachte pauschale Behauptung, die Vergütungsordnung und die AVR.DW.EKD seien nicht wesentlich gleichen Inhalts, war nach § 63 Abs. 7 MVG.EKD i.V.m. § 87 Abs. 3 ArbGG zurückzuweisen.
b) Die in Rede stehende Bestimmung in der Satzung des Diakonischen Werks Schleswig-Holstein - Landesverband der Inneren Mission e.V.- in den Fassungen vom 2. November 2006 und 5. November 2009 verstößt ihrerseits nicht gegen höherrangiges Recht. Sie verstößt vor allem nicht gegen den Begriff der Dienstgemeinschaft, wie er in der Präambel zum MVG.EKD verwendet wird. Der Begriff der Dienstgemeinschaft ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Eben diese Unbestimmtheit hat zur Folge, dass jede eigenständige Kirche diesen Begriff mit einem ihrem eigenen Verständnis entsprechenden Inhalt füllen kann, auch wenn sie das MVG.EKD, ggfs. nach näherer Maßgabe ihres eigenen Kirchenrechts, übernommen hat oder anwendet. Nach dem Kirchengesetz über die Zustimmung zum Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland i.d.F. vom 7. November 2007 (GVOBl. 2008, S. 4) mit weiteren Änderungen (GVOBl. 2008, S. 38) gilt dort das MVG.EKD mit näher aufgeführten Maßgaben. Gleichwohl lassen sich zumindest, soweit es um Arbeitsrechtsregelungen geht, aus dem Begriff der Dienstgemeinschaft der EKD und der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche nicht zwingend dieselben Schlüsse für die EKD und für die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche ziehen. Dem steht die Autonomie der Kirchen entgegen.
Das Recht der EKD hat keinen Vorrang vor gliedkirchlichem oder landeskirchlichem Recht. Die EKD hält aus Gründen der Dienstgemeinschaft grundsätzlich nur Arbeitsrechtsregelungen, die auf dem Dritten Weg entstanden sind, für rechtlich zutreffend. Dies hindert die EKD jedoch nicht, anzuerkennen, dass eine Gliedkirche oder Landeskirche ein anderes Verständnis des Begriffs "Dienstgemeinschaft" hat und pflegt. Diese Uneinheitlichkeit ist der Vielfalt der autonomen evangelischen Kirchen geschuldet. Die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche hat ein offeneres Verständnis für den Begriff der Dienstgemeinschaft. Sie hält die AVR.DW.EKD wie auch Tarifverträge ebenso für mit der Dienstgemeinschaft vereinbar wie Regelungen mit im Wesentlichen gleichen Inhalts wie Tarifverträge oder wie die AVR.DW.EKD. Dies zeigt die unter ihrer Aufsicht entstandene und stehende Satzung des Diakonischen Werk Schleswig-Holstein - Landesverband der inneren Mission e.V. - in den hier maßgeblichen Fassungen. Die Methode des Zustandekommens solcher anderen Regelungen schreibt das Recht der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche nicht vor. Es genügt insoweit ein "wesentlich gleicher Inhalt" mit den AVR.DW.EKD oder den Tarifverträgen, die für die Nordelbische Ev.-Luth. Kirche gelten.
Es ist nicht Sache des Kirchengerichtshofes, die politischen Wirkungen solcher Regelungsunterschiede zu bewerten. Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - der "eigentlich" verpönte "Erste Weg" (vgl. dazu: Beschluss vom 26. März 2007 - II-0124/M10-06 - ZMV 2007, 260) formalrechtlich beibehalten oder wiedereröffnet wird. Jedenfalls lässt sich aus den Verständnisunterschieden der autonom handelnden Kirchen zum Begriff der Dienstgemeinschaft nicht ableiten, dass die im Bereich der Nordelbischen Ev.-Luth. Kirche mögliche Anwendung von Regelungen, die auf dem Ersten Weg entstanden sind, rechtlich nicht zulässig sei. Mit Rücksicht auf die Autonomie der EKD und der Gliedkirchen und Landeskirchen wäre es verfehlt, den Begriff der Dienstgemeinschaft und dessen rechtlichen Verständnisses der einen Kirche – hier: EKD - zwingend und zudem mit denselben Schlussfolgerungen in einer anderen autonomen Landes- oder Gliedkirche zu verwenden. Deshalb ist es auch rechtlich unbehelflich, wenn sich die Gemeinsame Mitarbeitervertretung vorliegend auf den Beschluss des KGH.EKD vom 26. März 2007 - II-0124/M10-06 - ZMV 2007, 260 - zu stützen versucht; jener Beschluss betrifft eine diakonische Einrichtung, die zur Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers gehört und das Regelwerk der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen anwendet. Dort dürfen, wie jener Beschluss aufzeigt, nur auf dem Dritten Weg entstandene Regelungen angewendet werden.
3. Hinsichtlich der Ordnungsgemäßheit der Zuordnung zu den Vergütungsgruppen der Vergütungsordnung selbst besteht unter den Beteiligten kein Streit.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).