.
Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:07.08.2009
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/R39-09
Rechtsgrundlage:ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2 MVG.EKD § 19 Abs. 3, § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 2
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Ev. Kirche in Mitteldeutschland - Kammern für das Diakonische Werk -, I/16-2008; Fundstelle: KuR 2/2009, S. 290
Schlagworte:Globalantrag Arbeitsbefreiung
#

Leitsatz:

1. Ein Globalantrag kann auch im mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschlussverfahren gestellt werden. Er genügt zwar, wenn er hinreichend bestimmt ist, den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist aber insgesamt als unbegründet zurückzuweisen, wenn und weil er mindestens eine Konstellation enthält, für die das beanspruchte Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist.
2.
a.) Die Dienststellenleitung darf gemäß § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD die Arbeitsbefreiung versagen, wenn und weil dienstliche Belange der gleichzeitigen Abwesenheit des Mitglieds der Mitarbeitervertretung und eines anderen Mitarbeiters entgegenstehen, deshalb nur entweder Urlaub oder Arbeitsbefreiung gegeben werden kann und bei der Abwägung dem Urlaubswunsch des anderen Mitarbeiters oder dessen Schulungsteilnahme gegenüber dem Anspruch des Mitgliedes der Mitarbeitervertretung auf Arbeitsbefreiung (§ 19 Abs. 3 MVG.EKD) Vorrang einzuräumen ist.
b) Einen generellen Vorrang der Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 3 MVG.EKD gegenüber der Erlaubnis der Abwesenheiten eines anderen Mitglieds infolge Urlaubs oder Lehrgangsteilnahme sieht das Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD nicht vor. Vielmehr hat die Dienststellenleitung in solchen Fällen gemäß § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD unter Berücksichtigung des Amtsschutzes der Mitglieder der Mitarbeitervertretung im jeweiligen Einzelfall abzuwägen, inwieweit der Arbeitsbefreiung dienstliche Gründe infolge der vorübergehenden gleichzeitigen Abwesenheit anderer Mitarbeiter entgegenstehen und wem im Kollisionsfall Vorrang einzuräumen ist.

Tenor:

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Kirchengerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Ev. Kirche in Mitteldeutschland - Kammern für das Diakonische Werk - vom 30. März 2009 - I/16-2008 - wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I. Die antragstellende Mitarbeitervertretung hatte am 26. August 2008 beschlossen, dass zwei ihrer Mitglieder (Frau K und Herr S) an der am 10. und 11. November 2008 stattfindenden kirchenrechtlichen Fachtagung "Wagenburg Kirche" teilnehmen sollten, und unter dem 2. September 2008 bei der Dienststellenleitung "Dienstbefreiung und Kostenübernahme" beantragt. Die Dienststellenleitung hat hierauf mit Schreiben vom 8. September 2008 reagiert. Nachdem sich die Mitarbeitervertretung unter dem 21. Oktober 2008 wegen der Tagungsteilnahme nochmals schriftlich an die Dienststellenleitung gewendet hatte, teilte ihr diese unter dem 7. November 2008 mit:
"Dienstbefreiung und Kostenübernahme für "Wagenburg Kirche"
Ihr Schreiben vom 02.09.08 und 21.10.08 (Genehmigung Dienstreise)
Unser Schreiben vom 08.09.08
Ihr Anruf vom 6.9.08
Sehr geehrte Frau K,
sehr geehrter Herr G,
wie schon in unserem letzten Schreiben mitgeteilt, ist eine Freistellung für Herrn S nicht möglich, da 1. Herr S nach sehr langer Urlaubszeit am 10.11.08 den ersten Tag wieder zur Arbeit kommt, 2. Herr H im Urlaub ist und 3. Herr X zu einer Schulung unterwegs ist und deshalb alle möglichen Vertretungen nicht verfügbar sind.
Für Frau K kann ebenfalls keine Freistellung gewährt werden, da durch Krankheit bereits längere Ausfallzeiten in der Betreuung der neuen behinderten Mitarbeiter im Rahmen des Einigungsverfahrens (3 Monate - September; Oktober; November) zu verzeichnen sind.
Wir haben auf diesen Punkt immer wieder hingewiesen und kein Verständnis dafür, dass dies durch die Vorsitzende, die genau diese Problematik zu früheren Zeiten sehr vehement vertreten hat, immer wieder ignoriert wird.
Eine Zustimmung kann aus betrieblicher Sicht nicht gegeben werden."
Die Teilnahme an der Tagung unterblieb.
Mit ihrem am 8. Dezember 2008 beim Kirchengericht eingereichten Antrag begehrt die Mitarbeitervertretung,
1. festzustellen, dass die Dienststellenleitung nicht berechtigt sei, Mitgliedern der Antragstellerin Dienstbefreiung mit der Begründung zu versagen, ein anderer Mitarbeiter/eine andere Mitarbeiterin habe zu diesem Zeitpunkt Urlaub, wenn der Urlaub erst nach der Mitteilung der erforderlichen Dienstbefreiung gewährt wird bzw. ein Mitarbeiter/eine Mitarbeiterin müsse zum Zeitpunkt der geplanten Dienstbefreiung an einer Schulung teilnehmen, wenn diese Schulung zum Zeitpunkt der Mitteilung der erforderlichen Dienstbefreiung noch nicht geplant war und diese Schulung auch zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden kann;
2. festzustellen, dass die Dienststellenleitung verpflichtet sei, die Anwaltskosten der Antragstellerin zu den Bedingungen eines ansässigen Anwalts zu tragen.
Das Kirchengericht hat den Antrag zu 1 durch den Beschluss der Kammer vom 30. März 2009 mit im Kern der Begründung abgelehnt, es sei ein Globalantrag. Er sei unbegründet, weil er zumindest einen Fall umfasse, in welchem die Dienststellenleitung dem Urlaubsbegehren eines anderen Mitarbeiters den Vorzug geben dürfe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen. Den Antrag zu 2 hat das Kirchengericht durch den Beschluss des Vorsitzenden vom 14. April 2009 zurückgewiesen (anhängiges Beschwerdeverfahren I-0124/R40-09).
Gegen den Kammerbeschluss vom 30. März 2009 wendet sich die Mitarbeitervertretung mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, die Beschwerde sei anzunehmen, weil der angefochtene Beschluss falsch sei und die Entscheidung, dass die Dienststelle darüber zu befinden habe, ob sie die erforderliche Dienstbefreiung gewähre, von grundsätzlicher Bedeutung sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdebegründung vom 22. Juni 2009 nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Die Beschwerde war nach § 63 MVG.EKD nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil hierfür kein Grund gegeben ist.
1. Die Entscheidung über die Statthaftigkeit und die Zulässigkeit sowie das Verfahren der Beschwerde richtet sich nach § 63 MVG.EKD i.V.m. § 1 des Kirchengesetzes der Föderation Evangelischer Kirchen im Mitteldeutschland zur Ausführung des Kirchengesetzes der Evan-gelischen Kirche in Deutschland über Mitarbeitervertretungen (MVG.AusführungsG.EKM), ABl.EKM Nr. 12 vom 15. Dezember 2008, S. 336 ff.
2. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 MVG.EKD bedarf die Beschwerde gegen Beschlüsse der Kirchengerichte der Annahme durch den Kirchengerichtshof der EKD. Sie ist nach § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD anzunehmen, wenn 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses bestehen, 2. die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, 3. der Beschluss von einer Entscheidung des Kirchengerichtshofes der Evangelischen Kirche in Deutschland, einer Entscheidung eines obersten Landesgerichts oder eines Bundesgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 4. ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem der Beschluss beruhen kann.
3. Keine dieser Voraussetzungen liegt vor, vor allem nicht die zu Nummer 1 und Nummer 2 des § 63 Abs. 2 Satz 2 MVG.EKD.
a) Ernstliche Zweifel an der materiell-rechtlichen Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegen gesetzten Entscheidung genügt nicht (st. Rechtsprechung des KGH.EKD, Beschluss vom 10. November 2008 - I-0124/P37-08 - ZMV 2009, S. 36; Beschluss vom 7. April 2008 - I-0124/P5-08 - ZMV 2009, S. 37; Beschluss vom 21. April 2009 - I-0124/R10-09 - n.v.). Solche Zweifel liegen nicht vor.
Das Kirchengericht hat den Sachantrag zu Recht als einen Globalantrag angesehen. Zutreffend hat es angenommen, dass mit dem Antrag alle denkbaren darin beschriebenen Fallkonstellationen erfasst sein sollen, in welchen der Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 3 MVG.EKD vor Urlaubsbegehren und Schulungsteilnahmen anderer Mitarbeiter stets Vorrang einzuräumen sein soll.
Ein Globalantrag kann auch im mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschlussverfahren gestellt werden. Er genügt zwar, wenn er hinreichend bestimmt ist, den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er ist aber insgesamt als unbegründet zurückzuweisen, wenn und weil er mindestens eine Konstellation enthält, für die das beanspruchte Mitbestimmungsrecht nicht gegeben ist (BAG in ständiger Rechtsprechung, z.B. Beschluss vom 27. Juni 2006 - 1 ABR 35/05 - AP Nr. 47 zu § 95 BetrVG 1972 = NZA 2006, 1289; m.w.N.). Dies hat auch das Kirchengericht zutreffend erkannt.
Ebenso ist es nicht zu beanstanden, dass es den Globalantrag abgewiesen und zur Begründung Fallkonstellationen aufgezeigt hat, in denen die begehrte Feststellung unbegründet ist. Die Dienststellenleitung darf - wie die Vorinstanz zutreffend erkannt hat - gemäß § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD die Arbeitsbefreiung versagen, wenn und weil dienstliche Belange der gleichzeitigen Abwesenheit des Mitglieds der Mitarbeitervertretung und eines anderen Mitarbeiters entgegenstehen, deshalb nur entweder Urlaub oder Arbeitsbefreiung gegeben werden kann und bei der Abwägung dem Urlaubswunsch des anderen Mitarbeiters oder dessen Schulungsteilnahme gegenüber dem Anspruch des Mitglieds der Mitarbeitervertretung auf Arbeitsbefreiung (§ 19 Abs. 3 MVG.EKD) Vorrang einzuräumen ist. Einen generellen Vorrang der Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 3 MVG.EKD gegenüber den skizzierten Abwesenheiten eines anderen Mitarbeiters sieht das Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD nicht vor. Vielmehr hat die Dienststellenleitung in Fällen, wie sie im vorliegenden Globalantrag skizziert sind, gemäß § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD unter Berücksichtigung des Amtsschutzes der Mitglieder der Mitarbeitervertretung im jeweiligen Einzelfall abzuwägen, inwieweit der Arbeitsbefreiung dienstliche Gründe infolge der vorübergehenden gleichzeitigen Abwesenheit anderer Mitarbeiter entgegenstehen und wem im Kollisionsfall Vorrang einzuräumen ist.
Dabei darf die Dienststelle auch künftige, mit Wahrscheinlichkeit zu erwartende Entwicklungen einbeziehen, z.B. künftige Urlaube, Schulungsteilnahmen und andere vorübergehende Abwesenheiten von Mitarbeitern, z.B. wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Eine formale Urlaubsbewilligung braucht nicht bereits erteilt zu sein, wenn die Mitarbeitervertretung der Dienststellenleitung ihren Beschluss der Teilnahme eines ihrer Mitglieder an einer Tagung oder Schulung zwecks Arbeitsbefreiung mitteilt. Auch dieser zeitliche Verfahrensvorrang ist im Gesetz nicht vorgesehen. Über eine Arbeitsbefreiung nach § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD wird wegen des notwendigen organisatorischen Vorlaufs der Anmeldung zur Tagung oder zum Lehrgang über die Teilnahme, wie auch über die Arbeitsbefreiung, relativ frühzeitig befunden werden müssen. Eine solche Entscheidung wird deshalb nicht selten schon zu einem Zeitpunkt zu treffen sein, zu welchem der Urlaubswunsch des anderen Mitarbeiters zwar schon bekannt, der Urlaub aber noch nicht formell bewilligt worden ist. Entsprechendes gilt für die Teilnahme anderer Mitarbeiter an betrieblich erforderlichen Schulungen, Lehrgängen usw.
b) Die Beschwerde ist auch nicht nach § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 MVG.EKD wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage zur Entscheidung anzunehmen. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage im Sinne des § 63 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 MVG.EKD ist gegeben, wenn die Entscheidung der mitarbeitervertretungsrechtlichen Streitigkeit von der Beantwortung dieser Rechtsfrage abhängt, diese klärungsbedürftig und klärungsfähig und die Klärung von allgemeiner Bedeutung für die kirchliche oder diakonische Rechtsordnung ist (KGH.EKD, Beschluss vom 30. Juni 2006 - I-0124/M21-06 - ZMV 2006, S. 307; vgl. zur grundsätzlichen Bedeutung nach § 63 Abs. 1 Buchst. g MVG.EKD a.F.: KGH.EKD, Beschluss vom 19. Mai 2005 - II-0124/K40-04 - ZMV 2006, S. 89).
Vorliegend fehlt es an einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage. Die Beschwerde meint, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, dass das Kirchengericht der Dienststellenleitung inzidenter das Recht eingeräumt habe, darüber zu befinden, ob eine erforderliche Dienstbefreiung gewährt wird. Dies trifft nicht zu, weil das Gesetz in § 19 Abs. 3 letzter Satz MVG.EKD eben eine solche Entscheidung der Dienststellenleitung über die Arbeitsbefreiung der Mitglieder der Mitarbeitervertretung vorsieht. Das Kirchengericht hat diese Norm lediglich angewendet, nicht aber der Dienststellenleitung inzidenter das Recht eingeräumt.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).