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Kirchengericht:Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD
Entscheidungsform:Urteil (rechtskräftig)
Datum:01.09.2025
Aktenzeichen:0134/1-2025
Rechtsgrundlage:§§ 1 Satz 2, 2, 20, 63 DG.EKD, §§ 3 Abs. 2, 44 PfDG.EKD
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Amtspflichtverletzung, Verstoß gegen die Amts- und Lebensführung innerhalb des Dienstes, sexuelle ÜbergriffeAmtspflichtverletzung, Verstoß gegen die Amts- und Lebensführung innerhalb des Dienstes, sexuelle Übergriffe
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Leitsatz:

Ein sexueller Übergriff, der auch mit einer Berührung der Geschlechtsorgane der Geschädigten verbunden ist, ist grundsätzlich eine schwerwiegende Amtspflichtverletzung.
Lagen die Tathandlungen allerdings schon Jahrzehnte zurück und bewegten sich eher am unteren Rahmen der Tatbestandmäßigkeit jedenfalls von Straftatbeständen, kann zugunsten eines bislang unbescholtenen Beklagten, der mit einem zuvor erklärten Rechtsmittelverzicht gegen die das dauernde und unwiderrufliche Ruhen seiner Rechte aus der Ordination aussprechende Verfügung der Klägerin und Zustimmung zur Entscheidung im Beschlusswege den Weg für eine Rechtsfrieden stiftende Lösung eröffnete, ausnahmsweise eine (unbefristete) Kürzung der Bezüge als Disziplinarmaßnahme ausreichen.

Tenor:

Die Bezüge des Beklagten werden unbefristet um ein Fünftel vermindert.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe:

I.
1. Auf den Abdruck des persönlichen und dienstlichen Werdegangs des Beklagten wird mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Beklagten abgesehen.
2. Am 20.06.2023 erfolgte eine Meldung der Pfarrerin C bei der Meldestelle für sexualisierte Gewalt der Klägerin. Mit dieser Meldung schilderte die Pfarrerin, dass der Beklagte zu ihr zwischen 1986 und 1994 eine enge Beziehung einschließlich körperlicher Berührungen, wie innige Umarmungen und Küsse auf den Mund, unterhalten und spätestens ab 1988 sexuelle Handlungen in Form des Streichelns des Brust- und des Intimbereiches an ihr vorgenommen habe. Frau C sei in dieser Zeit in einem spirituellen Abhängigkeitsverhältnis zum Beklagten gestanden, wodurch sie es nicht gewagt habe, Ablehnung gegen die Handlungen zu signalisieren.
Mit Vermerk vom 30.06.2023 hat die Klägerin ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten eingeleitet wegen des Verdachts einer Amtspflichtverletzung im Sinne des § 31b PfDG.EKD bzw. entsprechender Regelungen aus den vorherigen Rechtsordnungen zur Tatzeit, nämlich die Pflicht,
  1. gemäß § 1 Abs. 1 des Kirchengesetzes zur Regelung der Rechtsstellung der Pfarrer der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland vom 11.02.1986 (Pfarrerdienstgesetz) in Wort und Tat den Zuspruch und Anspruch des Evangeliums zu verkündigen, sowie
  2. gemäß § 4 Abs. 1 des Pfarrerdienstgesetzes vom 11.02.1986, das mit der Ordination anvertraute Amt im Gehorsam gegen den dreieinigen Gott in Treue zu führen und sich in seiner Amts- und Lebensführung so zu verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird.
Ende Dezember 2023 erfolgte die vorläufige Dienstenthebung des Beklagten. Hierüber wurde das Moderamen des Synodalverbandes D und der Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Kirche E unterrichtet, da der Beklagte in diesen Körperschaften regelmäßig Dienste im Ruhestand wahrnahm. Ebenso wurde die Leitung des Gymnasiums F unterrichtet, da der Beklagte auch hier noch Gottesdienste durchführte.
Mit Verfügung vom 20.03.2024 dehnte die Klägerin das Disziplinarverfahren aus wegen des Verdachts, dass der Beklagte seine Amtspflichten darüber hinaus verletzte, indem er die damals teilweise noch minderjährige und später junge Erwachsene G ab 1988 bei Spaziergängen am Rande von Seminaren zur Kindergottesdienstarbeit auf einer Insel, sowie bei ähnlichen Situationen regelmäßig ohne ihr vorheriges Einverständnis an sich gezogen und ins Gesicht geküsst habe. In diesen Situationen habe Frau G (die 1998 als Vikarin in die Gemeinde des Beklagten wechselte und nach der Pensionierung des Beklagten 2011 dessen Pfarrstelle in E übernommen hat) in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm gestanden. Daher komme eine Dienstpflichtverletzung nach § 103 Abs. 1 2. Alt. der Verfassung der Evangelisch-reformierten Kirche in Nordwestdeutschland vom 24.09.1922, zuletzt geändert am 17.10.1980 (Kirchverfassung), und weiterer dienstrechtlicher Vorschriften in Betracht.
3. Die Klägerin hat am 28.01.2025 Disziplinarklage gegen den Beklagten erhoben und den Antrag angekündigt, den Beklagten gemäß § 18 DG.EKD aus dem Dienst zu entfernen.
Mit Hinweisbeschluss vom 20.08.2025 sind die Beteiligten darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass die Disziplinarkammer durch Beschluss gemäß § 63 DG.EKD auf eine unbefristete Verminderung der Bezüge des Beklagten um ein Fünftel erkennen werde. Dies setze voraus, dass der Beklagte, seine Rechte aus der Ordination dauerhaft nicht mehr ausübt und einen Rechtsmittelverzicht gegen eine das dauerhafte und unwiderrufliche Ruhen der Rechte aus der Ordination aussprechende Verfügung der Klägerin erklärt. Der Beklagte hat sodann die vorstehenden Voraussetzungen erfüllt und die Beteiligten haben am 25.08.2025 ihre Zustimmung zu der angekündigten Verfahrensweise erteilt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands nimmt die Kammer Bezug auf die Gerichtsakte des vorliegenden Disziplinarverfahrens und die Akte betreffend das behördliche Disziplinarverfahren.
II.
1. Die Disziplinarkammer kann gemäß § 63 DG.EKD ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden, weil – wie aus der Beschlussformel ersichtlich – nur eine Kürzung der Bezüge verwirkt ist. Die für diese Entscheidungsform erforderliche Zustimmung haben die Beteiligten am 25.08.2025 erklärt.
2. Der Beklagte hat die ihm zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen begangen. Er hat innerhalb des Dienstes schuldhaft gegen die ihm obliegenden Pflichten verstoßen (§§ 1 Satz 2, 2 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 44 PfDG.EKD). Zu diesen Pflichten gehört es nach § 3 Abs. 2 PfDG.EKD, dass die Ordinierten, zu denen der Beklagte zählt, sich in ihrer Amts- und Lebensführung so verhalten, dass die glaubwürdige Ausübung des Amtes nicht beeinträchtigt wird. Dieser Pflicht ist der Beklagte in den ihm von der Klägerin zur Last gelegten Fällen nicht nachgekommen. Die Kammer sieht die in der Disziplinarklage dargelegten Handlungen des Beklagten zum Nachteil der Geschädigten C und G aufgrund deren Zeugenaussagen im behördlichen Disziplinarverfahren als erwiesen an.
3. In Würdigung aller für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme maßgeblichen Kriterien (§ 20 DG.EKD) ist die aus der Beschlussformel ersichtliche Disziplinarmaßnahme angemessen. Ein sexueller Übergriff, der – wie im Fall der Zeugin C – auch mit einer Berührung der Geschlechtsorgane der Geschädigten verbunden ist, ist grundsätzlich eine schwerwiegende Amtspflichtverletzung. Hier liegen die Tathandlungen allerdings schon Jahrzehnte zurück und bewegen sich eher am unteren Rahmen der Tatbestandmäßigkeit jedenfalls von Straftatbeständen. Zugunsten des betagten Beklagten ist zudem zu berücksichtigen, dass er bislang straf- und disziplinarrechtlich nicht in Erscheinung getreten und auch im Übrigen sein dienstliches und außerdienstliches Verhalten ohne Beanstandung geblieben ist. Insbesondere hat der Beklagte mit seinem Rechtsmittelverzicht gegen die das dauernde und unwiderrufliche Ruhen seiner Rechte aus der Ordination aussprechende Verfügung der Klägerin vom 25. August 2025 sowie mit seiner Zustimmung zur Entscheidung im Beschlusswege den Weg für eine Rechtsfrieden stiftende Lösung eröffnet. Zugleich hat er damit den Geschädigten eine für diese belastende Situation der Vernehmung als Zeuginnen im gerichtlichen Disziplinarverfahren erspart und gleichsam die Richtigkeit der Angaben der Geschädigten und damit deren Redlichkeit nicht mehr in Zweifel gezogen. Der Beklagte hat dadurch auch einen Beitrag zu einer Befriedung der Situation in der Gemeinde geleistet, wo die Zeugin G seine Amtsnachfolgerin ist. Dies rechtfertigt im Wege einer Gesamtbetrachtung der für und gegen den Beklagten sprechenden Umstände und die von der Kammer verhängte verhältnismäßig milde Disziplinarmaßnahme.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 79 Abs. 1 DG.EKD i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.