.
#
Kirchengericht: | Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD |
Entscheidungsform: | Urteil (rechtskräftig) |
Datum: | 03.02.2017 |
Aktenzeichen: | 0134/4-2016 |
Rechtsgrundlage: | DG.EKD §§ 16, 17 |
Vorinstanzen: | keine |
Schlagworte: | Amtspflichtverletzung, Verletzung des Abstandsgebotes |
Leitsatz:
Auch wiederholte, längere, außereheliche sexuelle Beziehungen eines ledigen Pfarrers mit volljährigen, aber erheblich jüngeren Schülerinnen einer Bildungseinrichtung, an der er als Religionslehrer beschäftigt war, sind mit seinen Berufspflichten unvereinbar und stellen als Verletzungen des Abstandsgebotes Dienstvergehen dar, auf das vorliegend eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand (§ 16 DG.EKD) und ein Verlust der Rechte aus der Ordination (§ 17 DG.EKD) anzuordnen war.
Tenor:
Der Beklagte wird unter Versetzung in den Ruhestand seines Amtes enthoben (§ 41 i.V.m. § 16 DG.EKD).
Darüber hinaus werden dem Beklagten die Rechte aus der Ordination entzogen (§ 41 i.V.m. § 17 DG.EKD).
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens (§ 43 DG.EKD).
Gründe:
I. Der ledige und kinderlose Beklagte wurde 1956 geboren. Er schloss seine Schulzeit mit dem Abitur ab und studierte vom Wintersemester 1977/1978 bis zum Wintersemester 1983/1984 Evangelische Theologie an zwei Universitäten.
1984 legte er das erste theologische Examen mit der Gesamtnote „gut“ ab. Von April 1984 bis März 1986 absolvierte er sein Vikariat in der evangelischen Kirchengemeinde C. 1986 bestand der Beklagte das zweite theologische Examen erfolgreich mit der Note „gut“.
Anschließend leistete er seinen Hilfsdienst in der evangelischen Kirchengemeinde D. Dort wurde er am 31. August 1986 auch ordiniert.
Mit Wirkung vom 8. November 1987 wurde er unter Berufung in das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis auf Lebenszeit in die Pfarrstelle des Kirchenkreises E eingewiesen. Zu seinen Hauptaufgaben gehörte es fortan, an einem technisch-gewerblichen Berufsbildungszentrum als Berufsschullehrer das Fach „Evangelische Religion“ zu unterrichten.
Im Jahr 2004 wurde der Beklagte vom Ministerium für Bildung, Kultur und Wissenschaft zum Fachleiter der Schulaufsichtsbehörde für das Fach „Evangelische Religion“ in allen Schulformen der beruflichen Schulen ernannt.
II. Mit Schreiben vom 3. Dezember 2014 informierte der Beauftragte der evangelischen Kirchen die Klägerin darüber, dass die Zeugin F, geboren 1982, eine ehemalige Schülerin am Berufsbildungszentrum, in einem sozialen Netzwerk unpräzisierte Vorwürfe der sexuellen Belästigung, sowie des körperlichen und seelischen Missbrauchs gegen den beklagten Pfarrer in seiner damaligen Funktion als Berufsschullehrer erhoben habe. Dies erfuhr auch der Pressesprecher des Kultusministeriums. Dieser nahm Kontakt mit der Zeugin auf und ließ sich von ihr in einem streng vertraulichen Gespräch am 5. Dezember 2014 über die Hintergründe dieser Vorwürfe aufklären. Die Zeugin teilte im Wesentlichen mit, von August 2000 bis August 2003 als Auszubildende zur Hotelfachfrau das Berufsbildungszentrum besucht und dort im ersten Ausbildungsjahr den Beklagten als Vertretungslehrer für das ausgefallene Fach „katholische Religionslehre“ kennen gelernt zu haben. Aus gegenseitiger Sympathie füreinander entwickelte sich im Sommer 2001 im Rahmen eines gemeinsamen Norderney-Urlaubs eine bis 2004 andauernde außereheliche sexuelle Beziehung, im Rahmen derer es wiederholt auch zum Geschlechtsverkehr zwischen dem Beklagten und der Zeugin gekommen ist. Die Beziehung zwischen den beiden war ausweislich eines zu dem erwähnten vertraulichen Gespräch gefertigten Vermerks von zahlreichen Spannungen und Differenzen überschattet, die allerdings nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind. Am Ende des Gespräches betonte die Zeugin ausdrücklich, dass es ihr nicht um eine Bestrafung des Beklagten gehe, sondern dass es ihr wichtig sei, zukünftig weitere Schülerinnen vor Übergriffen des Beklagten zu schützen.
Mit Beschluss des Kollegiums der Klägerin wurde 2014 gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren wegen des Anfangsverdachts der Begehung sexueller Handlungen im Zusammenhang mit einem Lehrer-Schülerin-Verhältnis eröffnet. Zugleich wurde er vorläufig des Dienstes enthoben. Es wurde ihm mit sofortiger Wirkung die pfarramtliche Tätigkeit untersagt.
Im Zuge der weiteren Disziplinarermittlungen wurde bekannt, dass der Beklagte bereits im Zeitraum von August 1998 bis Juni 2000 mit einer weiteren Schülerin des Berufsbildungszentrums, nämlich der Zeugin G, ein sexuelles Verhältnis aufgenommen hatte, im Rahmen dessen es ebenfalls wiederholt zu außerehelichem Geschlechtsverkehr zwischen den beiden gekommen war. Auch diese Beziehung hatte der Beklagte in dem Bewusstsein und der Kenntnis aufgenommen, dass die Zeugin in dem vorgenannten Zeitraum Schülerin an der Bildungseinrichtung war, an der er selbst unterrichtete. Aufgrund eines damit bestehenden oder möglicherweise zukünftig entstehenden Abhängigkeitsverhältnisses hätte sich für den Beklagten zwingend die Pflicht ergeben, über freundschaftliche Kontakte hinausgehende Beziehungen zu Schülerinnen zu unterlassen. Diese Vorwürfe wurden in das laufende Disziplinarverfahren einbezogen.
Einer Empfehlung der Ermittlungsführerin folgend beschloss das Kollegium der Klägerin im Februar 2016, dass gegen den Beklagten Disziplinarklage zu erheben sei, was jedoch aus hier nicht nachvollziehbaren Gründen erst mit Schriftsatz vom 25. Oktober 2016 - hier eingegangen am 28. Oktober 2016 - geschehen ist.
Die Klägerin kündigte an, in der mündlichen Verhandlung den Antrag zu stellen, gegen den Beklagten die Disziplinarmaßnahme der Amtsenthebung unter Versetzung in den Ruhestand (§ 41 i.V.m. § 16 DG.EKD) zu verhängen sowie als Nebenmaßnahme gemäß § 19 Abs. 2 DG.EKD den unbefristeten Entzug der Ordinationsrechte (§ 17 DG.EKD) auszusprechen. Bezüglich des genauen Inhaltes der Disziplinarklage und der darin erhobenen Vorwürfe wird auf Bl. 7-11 der Disziplinarakte Bezug genommen.
III. Der Beklagte hat zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen wie folgt Stellung genommen:
„Ich bin durch das bereits seit längerer Zeit anhängige Disziplinarverfahren sehr belastet gewesen. Aus gesundheitlichen Gründen kann und will ich mich gegen die von der Landeskirche erhobenen Vorwürfe nicht mehr zur Wehr setzen. Ich bedaure den vorzeitigen zwangsweisen Eintritt in den Ruhestand und den Entzug der Rechte aus der Ordination sehr, weil ich damit nicht mehr für die Kirche tätig sein kann. In der Zwischenzeit habe ich durch die notwendig gewordene Pflege meiner hoch betagten Eltern, von denen meine Mutter inzwischen verstorben ist, eine neue Lebensaufgabe gefunden. Aufgrund der finanziellen Einbußen habe ich die eigene Wohnung aufgeben müssen und bin wieder in den elterlichen Haushalt gezogen. Die heutige Entscheidung bedeutet das Ende meiner beruflichen Laufbahn, ich sehe mich aber nicht mehr in der Lage, den Anträgen der Landeskirche entgegenzutreten mit den von ihr beantragten Maßnahmen sind die Vorwürfe umfassend und aber aus auch ausreichend sanktioniert.“
Im allseitigen Einvernehmen wurden die schriftlichen Aussagen der Zeuginnen, sowie der Inhalt der Disziplinarakten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Nach dem Abschluss der Beweisaufnahme stellt die Vertreterin der Klägerin die Anträge aus der Disziplinarklage, denen der Beklagte unter Bezugnahme auf seine Stellungnahme nicht entgegentritt.
IV. Die Disziplinarkammer bei dem Kirchengericht der EKD ist für die Entscheidung über die Vorwürfe aus der Disziplinarklage der Klägerin zuständig. Diese hat gemäß § 4 i.V.m. § 6 des Ausführungsgesetzes zum Disziplinargesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 14. Januar 2011, zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 16. Januar 2015 (KABl. S. 71) mit Wirkung vom 1. Januar 2016 die Disziplinarkammer der EKD als für ihren Bereich zuständiges Disziplinargericht des ersten Rechtszuges bestimmt. Da das vorliegende Verfahren am 16. Dezember 2014 eingeleitet worden ist, gelten die Bestimmungen des Disziplinargesetzes der EKD (nachfolgend DG.EKD) vom 28. Oktober 2009 (ABl. EKD 2009 S. 316, 2010, S.263).
V. Die Disziplinarklage ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch begründet.
1. Die Kammer trifft zunächst zu den dem Beklagten zur Last gelegten Amtspflichtverletzungen die in der Disziplinarklage getroffenen und von ihr oben näher beschriebenen Feststellungen.
2. Der Bemessung der vorliegend verhängten Disziplinarmaßnahmen legt die Kammer im Wesentlichen die Erwägungen zu Grunde, die von der Klägerin angeführt worden sind.
Ergänzend merkt die Kammer an:
Durch jede der zuvor beschriebenen sexuellen Handlungen mit den Zeuginnen, die der Beklagte zu deren aktiven Schulzeit am Berufsbildungszentrum vorgenommen hat, hat der Beklagte zur Überzeugung der Kammer auch jeweils eine vorsätzliche Amtspflichtverletzung begangen. Gemäß § 3 Abs. 1 DG.EKD verletzen Pfarrer ihre Amtspflicht, wenn sie innerhalb oder außerhalb des Dienstes schuldhaft ihnen obliegende Pflichten verletzen. Das gilt für Pfarrer insbesondere dann, wenn sie schuldhaft gegen die in der Ordination begründeten Pflichten verstoßen. Dies folgt aus dem für den Pfarrer damals wie heute geltenden Dienstrecht. Die mit der Ordnung des Pfarramtes gegebenen Pflichten und Rechte des Pfarrers werden durch den in der Ordination erteilten Auftrag begründet und begrenzt. Danach verletzt ein Pfarrer seine Amtspflicht auch, wenn er sich schuldhaft nicht amtsangemessen verhält. Einen solchen Verstoß sieht die Kammer jeweils bereits darin, dass der beklagte Pfarrer sich als aktiver Berufsschullehrer für das Fach „Evangelische Religion“ unabhängig von der Frage, ob er dieses gerade bei den betroffenen Schülerinnen unterrichtete, in zwei Fällen mit diesen auf ein außereheliches sexuelles Verhältnis eingelassen hat, welches zudem jeweils über einen längeren Zeitraum andauerte. Dabei hat der Beklagte jegliche professionelle Distanz vermissen lassen, denn ihm hätte klar sein müssen, dass er zu jeder Zeit im Rahmen der Schulorganisation mit der Unterrichtung der Schülerinnen betraut werden konnte. Anders als im Strafrecht hält die Kammer ein aktives Betreuungsverhältnis nicht für zwingend erforderlich und lässt es deshalb vorliegend auch offen, ob und in welchem Zeitraum dieses bestanden hat. Grenzüberschreitungen dieser Art können in dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Lehrer und einer Schülerin, selbst wenn diese bei Aufnahme der sexuellen Beziehung bereits volljährig war, wegen des erheblichen Altersunterschiedes einen unnatürlichen Eingriff in die sittliche Entwicklung der Betroffenen darstellen, den diese wegen ihrer noch nicht ausreichend fortgeschrittenen Reife intellektuell und gefühlsmäßig nicht verarbeiten kann. Derartige Verhaltensweisen können so in die sittliche Entwicklung eines jungen Menschen eingreifen und nachhaltig die harmonische Entfaltung seiner Persönlichkeit sowie seine Einordnung in die Gemeinschaft gefährden. Dem Opfer können - wofür es bei der Zeugin F Hinweise gibt - erhebliche zumindest seelische Schäden zugefügt werden, deren Folgen ein ganzes Leben lang andauern können.
Die dem Beklagten insgesamt anzulastenden Amtspflichtverletzungen stellen zwar Verfehlungen dar, die grundsätzlich auch geeignet sind, eine Entfernung aus dem Dienst zu rechtfertigen, die Kammer ist jedoch auf dem Hintergrund der nicht allein dem Beklagten anzulastenden Verfahrensdauer, seiner späten Einsicht in das Unrecht seines Verhaltens und der sich aus den verhängten Maßnahmen ergebenden Konsequenzen für sein weiteres Leben der Auffassung, dass diese ausreichend aber auch angemessen sind.
VII. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 43, 79 DG.EKD.
Die Beteiligten haben in der mündlichen Verhandlung auf Rechtsmittel verzichtet. Das Urteil ist damit sogleich in Rechtskraft erwachsen.