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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:06.02.2023
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/18-22
Rechtsgrundlage:§ 50 MVG-EKD; § 10 MVG-EKD
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche von Westfalen - 2. Kammer -, Az. 2 M 2/22 vom 28. April 2022
Schlagworte:SBV – Wahlberechtigung - Wählbarkeit
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Leitsatz:

1. Wahlberechtigt zur Wahl der SBV sind nach § 50 Abs. 3 MVG-EKD auch die schwerbehinderten Mitarbeitenden, deren Arbeitsverhältnis aufgrund einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente ruht.
2. Schwerbehinderte Mitarbeitende, deren Arbeitsverhältnis am Wahltag noch für einen Zeitraum von mehrals sechs Monaten aufgrund der Bewilligung einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente ruht, sind nach § 50 Abs. 4 MVG-EKD i.V.m. § 10 Abs. 2 b) nicht wählbar.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller/innen zu 1) bis 4) gegen den Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche von Westfalen - 2. Kammer - vom 28. April 2022, Az. 2 M 2/22, wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Vertrauensperson der Schwerbehinderten (SBV) bei der Beteiligten zu 7) am 6. Januar 2022. Die Antragsteller/innen zu 1) bis 4) sind schwerbehinderte Mitarbeitende der Beteiligten zu 7), der Beteiligte zu 5) ist die gewählte Vertrauensperson der Schwerbehinderten, die Beteiligte zu 6) seine Stellvertreterin.
Die Beteiligte zu 1) war langjährige Vertrauensperson der Schwerbehinderten. Sie bezieht seit dem 1. Oktober 2019 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Diese Rente war gemäß Bescheid vom 18. August 2020 zunächst befristet bis zum 31. März 2022 und wurde durch weiteren Bescheid vom 5. Januar 2022 bis zum 31. März 2025 verlängert.
Der Wahlvorstand lehnte die Aufnahme der Antragstellerin zu 1) in die Wählerliste und den auf sie bezogenen Wahlvorschlag mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 wegen des Bezugs der befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung ab. Tatsächlich machte der Wahlvorstand nur die Wahlvorschläge des Beteiligten zu 5) und der Beteiligten zu 6), nicht aber der Beteiligten zu 1) bekannt. Ein Einspruch der Beteiligten zu 1) blieb erfolgslos.
Bei der (Brief-)Wahl am 6. Januar 2022 wurde als Vertrauensperson der Schwerbehinderten mit großem Abstand der Beteiligte zu 5) und als Stellvertreterin die Beteiligte zu 6) gewählt.
Mit dem am 18. Januar 2022 bei der Schlichtungsstelle eingegangenen Antrag machen die Antragsteller/innen die Unwirksamkeit dieser Wahl geltend. Die Wählerliste sei falsch gewesen, weil die dort nicht aufgeführte Antragstellerin zu 1) wahlberechtigt gewesen sei; sie sei darüber hinaus als Mitarbeiterin der Dienststelle zum Zeitpunkt der Wahl wählbar gewesen. Der Status einer befristeten vollständigen Erwerbsminderung entspreche nicht dem einer Beurlaubung nach § 10 Absatz 2 b) MVG-EKD. In jedem Fall sei zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Versendung der Briefwahlunterlagen Wählbarkeit gegeben gewesen, weil zu diesem Zeitpunkt die befristete Erwerbsminderungsrente lediglich bis zum 31. März 2022 bewilligt gewesen sei.
Die Antragsteller/innen zu 1) bis 4) haben beantragt,
die Wahl zur Vertrauensperson der schwerbehinderten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom 6. Januar 2022 für ungültig zu erklären und eine Neuwahl anzuordnen.
Der Antragsgegner zu 5) und die Antragsgegnerin zu 6) haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen
und die Auffassung vertreten, die Wahl zur Vertrauensperson der Schwerbehinderten sei ordnungsgemäß gewesen.
Die Beteiligte zu 7) hat keinen Antrag gestellt.
Die Schlichtungsstelle hat durch Beschluss vom 28. April 2022 den Antrag zurückgewiesen. Die Antragstellerin zu 1) sei nicht wahlberechtigt i.S.v. § 50 Absatz 3 MVG-EKD gewesen. In einem wegen voller Erwerbsminderung (befristet) ruhenden Arbeitsverhältnis fehle es an einer „Beschäftigung“. Auch sei sie am Wahltag des 6. Januar 2022 nicht wählbar gewesen, da sie nach § 50 Absatz 4 MVG-EKD i.V.m. § 10 Absatz 2b) MVG-EKD zum Zeitpunkt des Wahltages noch für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten beurlaubt gewesen sei.
Mit ihrer Beschwerde verfolgen die Antragsteller/innen zu 1) bis 4) ihr Antragsbegehren weiter.
II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde ist unbegründet. Zwar war die Antragstellerin zu 1) zum Zeitpunkt der Wahl am 6. Januar 2022 wahlberechtigt; dieser Fehler hat sich jedoch nicht auf das Wahlergebnis ausgewirkt (1.). Die Antragstellerin zu 1) war zum Zeitpunkt der Wahl am 6. Januar 2022 nicht wählbar im Sinne von § 50 Absatz 4 i.V.m. § 10 Absatz 2b) MVG-EKD, ein Verstoß gegen wesentliche Bestimmungen über die die Wählbarkeit liegt deshalb insoweit nicht vor.
1. Die Antragstellerin zu 1) war trotz ruhendem Arbeitsverhältnisses wahlberechtigt.
a) Nach § 50 Absatz 3 MVG-EKD sind wahlberechtigt – korrespondierend mit der gleichlautenden Vorschrift des § 177 Abs. 2 SGB IX - alle in der Dienststelle „beschäftigten“ schwerbehinderten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. § 50 Absatz 3 MVG-EKD geht als speziellere Regelung § 9 MVG-EKD vor, die in § 9 Abs. 3 geregelten Einschränkungen der Berechtigung zur Teilnahme an der Wahl der MAV gelten bei der Wahl zur SBV nicht (JMNS/Neuendorf MVG-EKD § 50 MVG Rn. 8).
b) Entgegen der Auffassung der Schlichtungsstelle bedeutet „Beschäftigung“ i.S.v § 50 Abs. 3 MVG-EKD nicht, dass tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden müssen. Die Antragstellerin zu 1) bezieht eine befristete volle Erwerbsminderungsrente. Generell ist nicht ausgeschlossen, dass das Arbeitsverhältnis wiederaufgenommen wird. Ein bloß vorübergehendes Ruhen des Arbeitsverhältnisses führt nicht zum Verlust des aktiven Wahlrechts (vgl. Düwell, SBG IX, § 177 Rn. 16). Schwerbehinderte Menschen haben ein berechtigtes Interesse an der Zusammensetzung der SBV, die ihnen beratend und helfend zur Seite stehen soll, wenn sie die Arbeit wiederaufnehmen. Mit dem Begriff „Beschäftigung“ in § 50 Absatz 3 MVG-EKD und gleichlautend in § 177 Abs. 2 SGB IX sollen vielmehr auch Beschäftigungsformen außerhalb von Arbeitsverhältnissen erfasst und diesen schwerbehinderten Menschen die Wahlberechtigung zuerkannt werden (vgl. Düwell SGB IX § 177, Rn. 13 Stichwort: Beschäftigung ohne Arbeitsverhältnis).
c) Der Verstoß gegen die Vorschriften zur Wahlberechtigung verhilft der Wahlanfechtung nicht zum Erfolg. Nach § 14 Absatz 2 MVG-EKD ist Voraussetzung für die Anordnung der Ungültigkeit der Wahl, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis beeinflusst oder geändert werden konnte. Der gewählte Beteiligte zu 5) hat mehr als dreimal so viele Stimmen erhalten wie die Beteiligte zu 6). Eine wahlberechtigte Person mehr hätte das Ergebnis nicht beeinflussen können.
2. Die Antragstellerin zu 1) war am Wahltag nach §§ 50 Abs. 4, 10 Abs. 2b MVG-EKD nicht wählbar, ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften der Wählbarkeit im Sinne von § 14 Abs. 1 MVG-EKD liegt nicht vor.
a) Nach § 50 Abs. 4 MVG-EKD gilt für die Wählbarkeit zur SBV § 10 MVG-EKD entsprechend. Nach 10 Abs. 2b) MVG-EKD sind nicht wählbar Wahlberechtigte, die am Wahltag noch für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten beurlaubt sind.
b) Die Arbeitspflicht der Klägerin ruhte zwar am Wahltag, dem 6. Januar 2022 nicht auf Grund von Elternzeit, Sonderurlaub oder einer sonstigen „Beurlaubung“; die Arbeitspflicht ruhte jedoch am Wahltag auf Grund einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente vom 5. Januar 2022 bis zum 31. März 2025, mithin für einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten.
c) Beurlaubung im Sinne von § 10 Absatz 2b) MVG-EKD beinhaltet alle Sachverhalte, in denen die das Arbeitsverhältnis im Rechtssinne ruht und eine Arbeitspflicht nicht besteht. Dies ergibt die Auslegung der Norm. Zwar ist der Wortlaut nicht eindeutig, weil „Beurlaubung“ auch restriktiv auf den Fall der Bewilligung von Sonderurlaub oder ev. noch Elternzeit bezogen sein könnte. Nach Sinn und Zweck der Norm werden jedoch auch sonstige Fälle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses von der Ausschlussnorm erfasst. Sinn der Vorschrift ist es, die Funktionsfähigkeit der MAV sicherzustellen (Fey/Rehren MVG-EKD, § 10 Rn. 19). Ob die Norm systematisch und inhaltlich überzeugt (kritisch JMNS/Mestwerdt MVG-EKD § 10 Rn. 24), ist irrelevant, maßgeblich ist, dass der synodale Gesetzgeber sicherstellen wollte, dass die SBV in der Zusammensetzung auch arbeitsfähig ist, wie sie von den wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen gewählt worden ist. Dieses Ziel kann nicht erreicht werden, wenn schwerbehinderte Menschen in die SBV gewählt werden, deren Arbeitsverhältnis ruht und die deshalb nicht in der Lage sind, die Aufgaben einer SBV (Teilnahme an Einstellungsinterviews, Teilnahme an MAV-Sitzungen, Beratung der schwerbehinderten Menschen) nachhaltig zu erfüllen. Dies muss insbesondere deshalb gelten, weil es nur eine Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen gibt. Wer gewählt ist, soll das Amt aktiv wahrnehmen können.
d) Wahltag war der 6. Januar 2022. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten Briefwahlstimmen abgegeben werden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Ergebnis festgestellt. Am 6. Januar 2022 ruhte das Arbeitsverhältnis mit der Antragstellerin zu 1) noch für über drei weitere Jahre.
e) Es ist fernliegend, mit der Antragstellerin auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem die Briefwahlunterlagen versandt wurden. Zwar war zu diesem – vor dem 5. Januar 2022 liegenden - Zeitpunkt noch unklar, ob die Antragstellerin zu 1) am Wahltag noch für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen beurlaubt sein würde; der Verlängerungsbescheid wurde erst am 5. Januar 2022 erlassen. Maßgeblich ist die objektive Rechtslage am Wahltag, dem 6. Januar 2022. Der Wortlaut von § 10 Absatz 2b) MVG-EKD ist eindeutig.
f) Unabhängig davon ergäbe sich vorliegend kein anderes Ergebnis, wenn auf den Zeitpunkt des Versendens der Briefwahlunterlagen abgestellt würde. Dann hätte ein Verstoß gegen die Wählbarkeit zu diesem Zeitpunkt zwar vorgelegen, der Verstoß wäre aber durch Erlass des Verlängerungsbescheids vom 5. Januar 2022 nach Maßgabe von § 14 Absatz 1 MVG-EKD bis zum Wahltag behoben worden. Da am 6. Januar 2022 feststand, dass das Arbeitsverhältnis noch über längere Zeit ruhen würde, war zu diesem Zeitpunkt zutreffend nur von zwei Wahlvorschlägen auszugehen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).