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Kirchengericht: Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:01.06.2022
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/4-2022
Rechtsgrundlage:§ 26 MVG i.d.F der VO vom 11.09.2020 (ABl EKD 2020, S. 199; § 30 MVG
Vorinstanzen:Kirchengericht der Ev.-Luth. Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz, Az. MVG 958 vom 9.12.2021
Schlagworte:Anspruch auf Büropersonal, Beschlussfassung via Videokonferenz, MAV
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Leitsatz:

1. Nach § 26 Abs. 2 MVG-EKD ist es nicht erforderlich, dass die Geschäftsordnung der Mitarbeitervertretung eine Bestimmung über die Durchführung von Video- oder Telefonkonferenzen enthält. Dies ist nur erforder-lich, sofern auch Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden sollen.
2. Nach § 30 Absatz 1 MVG-EKD ist der MAV für Sitzungen, Sprechstunden und laufende Geschäftsführung „in erforderlichem Umfang“ u.a. Büropersonal zur Verfügung zu stellen; es ist unerheblich, ob die Arbeit mit einem Sekretariat in der Dienststelle „dienststellenüblich“ ist. Der Begriff „dienststellenüblich“ in § 30 Abs. 1 MVG-EKD bezieht sich ausschließlich auf die technische Ausstattung.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststelle gegen den Beschluss des Kirchengerichts der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für Streitigkeiten nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz vom 9. Dezember 2021, Az. MVG-958, wird nicht zur Ent-scheidung angenommen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Dienststelle und Beteiligte zu 2) der antragstellenden Mitarbeitervertretung und Beteiligten zu 1) Büropersonal zur Verfügung zu stellen hat. Die Dienststelle beschäftigt ca. 1.800 Mitarbeiter/innen in ca. 300 Einrichtungen u.a. im Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Die Einrichtungen liegen in Süddeutschland.
Die Beteiligte zu 1) besteht aus fünfzehn Mitgliedern, wovon sechs mit insgesamt 120 Stunden wöchentlich von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellt sind. Die Mitglieder nehmen weitere Freistellungszeiten in Anspruch.
Die Beteiligte zu 1) hat mit E-Mail vom 28. Juli 2020 beantragt, ihr Büropersonal im Umfang von 40 Wochenstunden zur Verfügung zu stellen. Nach Ablehnung durch die Beteiligte zu 2) erklärte die Beteiligte zu 1) am 3. September 2020 die Einigungsbemühungen für gescheitert und teilte mit, sie habe beschlossen, die Angelegenheit einer kirchengerichtlichen Klärung zuzuführen.
Die Beteiligte zu 1) trägt vor, sie habe auf ihrer Sitzung vom 17. Juli 2020 einen ordnungsgemäßen Beschluss zur Anforderung von Büropersonal gefasst. Zu dieser Sitzung sei mit dem Tagesordnungspunkt „Beratung und Beschlussfassung Antrag auf Büropersonal“ eingeladen worden. Auf der weiteren Sitzung vom 28. August 2020, zu der ebenfalls mit dem Tagesordnungspunkt „Antrag auf Büropersonal“ geladen worden sei, seien mit sieben Ja-Stimmen bei einer Enthaltung Beschlüsse zur Einleitung des kirchengerichtlichen Verfahrens sowie zur Beauftragung der Kanzlei der Verfahrensbevollmächtigten gefasst worden.
Die Beteiligte zu 1) hat die Auffassung vertreten, die Beteiligte zu 2) sei verpflichtet, ihr eine vollzeitbeschäftigte Bürokraft zur Verfügung zu stellen, da die Vor- und Nachberatung von Sitzungen der Mitarbeitervertretung, des Personalausschusses sowie weiterer Ausschüsse und die Begleitung des Vorsitzenden und des stellvertretenden Vorsitzenden erhebliche Verwaltungstätigkeiten auslösen würden.
Die Beteiligte zu 1) hat beantragt,
1. den Beteiligten zu 2 zu verpflichten, der Mitarbeitervertretung Büropersonal im zeitlichen Umfang eines/r vollbeschäftigten Mitarbeiters/Mitarbeiterin zur Verfügung zu stellen.
2. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 den Beteiligten zu 2 zu verpflichten, über die zur Verfügung zu stellende(n) Person(en) Einvernehmen herzustellen.
Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen,
und bestritten, dass die Beteiligte zu 1) wirksame Beschlüsse zur Beantragung vom Büropersonal und zur Einleitung des Verfahrens gefasst habe. Eine eigene Verwaltungskraft sei für die Beteiligte zu 1) nicht erforderlich. Weder sei nachvollziehbar, welcher zeitlicher Aufwand anfalle; zudem sei es bei der Beteiligten zu 2) nicht üblich, ein funktions- oder personengebundenes Assistenzwesen oder Sekretariat vorzuhalten. Alle Mitarbeiter würden die alltäglichen Verwaltungsarbeiten einschließlich der Erstellung von Protokollen selbst verrichten.
Das Kirchengericht hat dem Antrag teilweise entsprochen und die Beteiligte zu 2) verpflichtet, der Beteiligten zu 1) eine Teilzeitkraft im Umfang von 50% einer Vollzeitkraft zur Verfügung zu stellen sowie über die Person Einvernehmen mit der Beteiligten zu 1) herzustellen.
Die Beschlussfassung für die maßgebliche Sitzung am 28. August 2020 sei ordnungsgemäß erfolgt, da zu der Sitzung rechtzeitig unter Mitteilung der Tagesordnung eingeladen worden, die Mehrheit der Mitglieder anwesend gewesen und die Beschlüsse mit der Mehrheit der anwesenden Mitarbeiter gefasst worden sein. Nach Vorlage des Wortlauts der gefassten Beschlüsse habe die Dienststelle nicht konkret vorgetragen, inwieweit die Beschlussfassung zu beanstanden sei.
Hilfsweise ergebe sich die Ordnungsgemäßheit der Beschlüsse auch auf der Grundlage der Erörterung in der mündlichen Anhörung und den dort getätigten Erklärungen der Vorsitzenden der Mitarbeitervertretung. Diese habe zur vollen Überzeugung des Kirchengerichts zur Ordnungsgemäßheit der Beschlussfassung geführt (§ 286 ZPO).
In der Sache sei der Antrag jedenfalls zum Teil begründet. In größeren Einrichtungen sei der Arbeitsanfall in der Regel so, dass Büropersonal erforderlich sei. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass bei der Beteiligten zu 2) ein Assistenzwesen/Sekretariat nicht dienststellenüblich sei. Das Wort dienststellenüblich in § 30 Absatz 1 MVG-EKD beziehe sich auf die technische Ausstattung und nicht auf das Büropersonal. Auch der Antrag zu 2) sei begründet, da die Beteiligte zu 1) gegenüber dem zur Verfügung gestellten Büropersonal ein Vertrauensverhältnis haben müsse.
Mit der frist- und formgerecht eingereichten und begründeten Beschwerde verfolgt die Beteiligte zu 2) ihren Antrag auf umfassende Zurückweisung des Antrages weiter. Die Dienststelle ist weiter der Auffassung, sowohl der Beschluss des Beteiligten zu 1) vom 17. Juli 2020 wie auch der vom 28. August 2020 seien nicht ordnungsgemäß und wirksam gefasst worden. Den Beschluss des Beteiligten zu 1) vom 17. Juli 2020 habe das Kirchengericht in seiner Begründung unbehandelt gelassen. Es werde in Bezug auf die Einladung zur Sitzung vom 17. Juli 2020 mit Nichtwissen bestritten, dass die Vorsitzende verhindert gewesen sei, so dass die Einladung vom stellvertretenden Vorsitzenden habe erfolgen müsse. Die Beschlussfassung sei zudem unwirksam, da die Sitzung „via Zoom“ abgehalten und weder ein einstimmiger Beschluss erzielt noch überhaupt in der Geschäftsordnung des Beteiligten zu 1) die Möglichkeit der Sitzung mittels Videokonferenz vorgesehen worden sei. Auch bezüglich der Sitzung vom 28. August 2020, die gleichfalls als Videokonferenz abgehalten worden sei, bestreitet die Beteiligte zu 2), dass am 28. August 2020 eine gültige Geschäftsordnung die Zulässigkeit von Beschlüssen mittels Videokonferenz gestattet habe. Zudem sei auch die Beschlussfassung an diesem Tag nicht, wie erforderlich, einstimmig erfolgt.
Materiell-rechtlich bestünden ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Beschlusses, da „dienststellenüblich“ im Sinne von § 30 Absatz 1 MVG-EKD sich auch auf die Organisationsstruktur beziehe. Bei der Entscheidung des Kirchengerichts sei unberücksichtigt geblieben, dass die Beteiligte zu 2) kein funktions- oder personengebundenes Assistenzwesen oder eine Sekretariatsstruktur vorhalte.
Bezüglich der weiteren Beschwerdebegründung wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 19. April 2022.
II. 1. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung bestehen nicht (§ 63 Absatz 2 Satz 2 MVG-EKD). Solche Zweifel sind nur anzunehmen, wenn die Entscheidung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit voraussichtlich anders zu treffen sein wird; die bloße Möglichkeit einer entgegengesetzten Entscheidung genügt nicht (ständige Rechtsprechung, zuletzt KGH-EKD, 7. Dezember 2020 – II-0124/30-2020).
a) Die Beschwerde ist zunächst deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Beschlüsse der Beteiligten zu 1) im Zusammenhang mit der Geltendmachung einer Bürokraft formell unwirksam wären.
(1). Die Vorinstanz hat zutreffend nicht auf den Beschluss vom 17. Juli 2020 abgestellt. Unabhängig davon, dass formelle Bedenken der Beschlussfassung nicht entgegenstehen (vgl. nachstehende Ausführungen zum Beschluss vom 28. August 2020), käme es auf den Beschluss vom 17. Juli 2020 dann nicht an, wenn – wie geschehen – am 28. August 2020 die Einleitung des Verfahrens in Bezug auf die Gestellung von Büropersonal ordnungsgemäß beschlossen worden wäre; darin läge jedenfalls eine Bestätigung eines formell nicht wirksamen Beschlusses vom 17. Juli 2020.
(2) Entgegen der Auffassung der Beteiligten zu 2) bestehen keine durchgreifenden Zweifel an der Wirksamkeit der Beschlussfassung vom 28. August 2020. Zu diesem Zeitpunkt hatte § 26 Absatz 2 MVG-EKD nach Maßgabe der Verordnung vom 11. September 2020 (ABl EKD 2020, S. 199), gültig ab 1. März 2020, bereits nachstehenden Wortlaut:
„Die Mitarbeitervertretung fasst ihre Beschlüsse mit der Mehrheit der bei der Abstimmung anwesenden Mitglieder. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt. Die Mitarbeitervertretung kann in ihrer Geschäftsordnung bestimmen, dass Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden können, sofern dabei Einstimmigkeit erzielt wird. Beschlüsse nach Satz 3 sind spätestens in der Niederschrift der nächsten Sitzung im Wortlaut festzuhalten. Die Teilnahme einzelner oder aller Mitglieder an Sitzungen der Mitarbeitervertretungen kann im Ausnahmefall auch mittels Video- und Telefonkonferenzen erfolgen, wenn kein Mitglied der Mitarbeitervertretung unverzüglich nach Bekanntgabe der Absicht zur Durchführung der Sitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz diesem Verfahren widerspricht. Es ist sicherzustellen, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung der Sitzung ist unzulässig. Mitglieder der Mitarbeitervertretung, die mittels Video- oder Telefonkonferenz teilnehmen, gelten als anwesend im Sinne des Absatzes 1 Satz 1. Vor Beginn der Sitzung hat der oder die Vorsitzende die Identität der zugeschalteten Mitglieder festzustellen und deren Namen in die Anwesenheitsliste einzutragen. § 25 gilt für Sitzungen mittels Video- oder Telefonkonferenzen entsprechend.“
Danach gilt: Die Geschäftsordnung der Mitarbeitervertretung muss keine Bestimmung über die Durchführung von Video- oder Telefonkonferenzen enthalten. Dies ist nur erforderlich, sofern auch Beschlüsse im Umlaufverfahren gefasst werden sollen. Gleichermaßen ist Einstimmigkeit nicht erforderlich; auch dieses Erfordernis gilt lediglich für Beschlüsse im Umlaufverfahren. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig.
Damit war sowohl der Beschluss vom 28. August 2020 (wie auch der Beschluss vom 17. Juli 2020) ordnungsgemäß, da er mit der Mehrheit der anwesenden Mitglieder getroffen wurde und Beschlussfähigkeit für den Beschluss gegeben war.
b) Die Beschwerde ist nicht deshalb zur Entscheidung anzunehmen, weil materiell-rechtlich ein anderes Ergebnis zu erwarten wäre.
(1) Das Kirchengericht hat sorgfältig begründet, dass bei der Größe der Mitarbeitervertretung und der kleinteiligen Organisation der Beteiligten zu 2) eine Bürokraft zur Verfügung zu stellen ist. Es ist naheliegend, dass in größeren Einrichtungen der Arbeitsanfall regelmäßig Büropersonal erfordert (vgl. JMNS/Joussen MVG-EKD § 30 Rn 28); das Kirchengericht hat insoweit zutreffend erkannt, dass zumindest eine Teilzeitkraft in einem Umfang von 0,5 einer Vollzeitkraft erforderlich ist.
(2) Unbehelflich ist der weitere Einwand der Beteiligten zu 2), die Mitarbeitervertretung habe keinen Anspruch auf Büropersonal, weil die Organisationsstrukturen der Beteiligten zu 2) eine Sekretariatsstruktur nicht vorsehe. Der Anspruch der Mitarbeitervertretung richtet sich ausschließlich nach § 30 Absatz 1 MVG-EKD. Danach ist einer Mitarbeitervertretung für Sitzungen, Sprechstunden und laufende Geschäftsführung „in erforderlichem Umfang“ u.a. Büropersonal zur Verfügung zu stellen; es besteht auch Anspruch auf eine „dienststellenübliche technische Ausstattung“. Die Begrifflichkeit „dienststellenüblich“ bezieht sich nach allen Auslegungsmethoden auf die technische Ausstattung. Es soll verhindert werden, dass im Bereich der Mitarbeitervertretung eine abweichende technische Ausstattung zum Einsatz kommt, die letztlich von der Dienststelle (mit zusätzlichem Aufwand) gewartet und betreut werden muss. Die technische Ausstattung soll sich in die „übliche“ Technik der Dienststelle einfügen.
(3) Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung bestehen zudem deshalb nicht, weil bei Ausstattungsfragen die Mitarbeitervertretung bei pflichtgemäßer Würdigung der Sachlage im Rahmen ihres Ermessensspielraums entscheidet. Bei der Ausübung ihres Ermessens muss sich die Mitarbeitervertretung auf den Standpunkt eines vernünftigen Dritten stellen, der die Interessen der Einrichtung und der Mitarbeitervertretung und damit auch das Interesse der Funktions- und Handlungsfähigkeit der Mitarbeitervertretung abwägt (vgl. JMNS/Joussen MVG-EKD § 30 Rn. 30 m.w.N); dabei sind die Grenzen des Ermessens im Interesse der Funktions- und Handlungsfähigkeit der MAV nicht zu eng zu ziehen. Eine 0,5 Teilzeitkraft ist nach diesem Maßstab erforderlich.
2. Auch die Stattgabe des Antrags zu 2) begegnet keine Bedenken. Die Mitarbeitervertretung soll bei der Auswahl des ihr zur Verfügung zu stellenden Büropersonals Wünsche äußern und Vorbehalte anmelden können, denen der Dienstgeber, wenn dies möglich ist und dienstliche Belange nicht entgegenstehen, nach Maßgabe des Gebots der vertrauensvollen Zusammenarbeit zu entsprechen hat (vgl. JMNS MVG-EKD § 30 Rn 27).
Die Beschwerde war deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).