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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:04.06.2018
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/33-2017
Rechtsgrundlage:§ 3 Abs. 2 und 3 MVG-EKD
Vorinstanzen:Kirchengericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer I Schleswig-Holstein, Az. I-05/16-RD-
Schlagworte:Widerruf der Bildung einer Mitarbeitervertretung für Dienststellenteile
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Leitsatz:

1. Der Widerruf der Bildung einer Mitarbeitervertretung für Dienststellenteile nach § 3 Abs. 2 MVG-EKD durch die Dienststellenleitung kann von dieser einseitig erklärt werden. Er bedarf nicht des Einvernehmens mit der Mehrheit der wahlberechtigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dem betroffenen Dienststellenteil.
2. Die Entscheidung über den Widerruf ist nicht an billiges Ermessen gebunden.

Tenor:

Die Beschwerde der Mitarbeitervertretung gegen den Beschluss des Kirchengerichts für mtiarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. - Kammer I Schleswig-Holstein - vom 19. Mai 2017, Az. I-05/16-RD - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Dienststellenleitung wirksam einen Widerruf nach § 3 Absatz 3 MVG-EKD erklärt hat.
Zum Unternehmen der Beteiligten zu 2 gehört eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Auf einer Mitarbeiterversammlung am 7. Februar 1989, die der damalige Direktor der Klinik einberufen hatte, wurde über die Bildung einer Mit-arbeitervertretung für die Klinik nach § 3 Absatz 2 MVG-EKD abgestimmt. 24 der 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stimmten bei einer Gegenstimme dafür. Für die Klinik wird seitdem eine eigene Mitarbeitervertretung gewählt.
Die Beteiligte zu 2 erklärte mit Schreiben vom 29. September 2016 den Widerruf ihres Einvernehmens mit der Bildung einer Mitarbeitervertretung zum Ablauf der Wahlperiode der Mitarbeitervertretung zum 30. April 2018. Sie begründete dieses damit, dass sich etwaige Besonderheiten der Klinik auch in unternehmensweiten Regelungen abbilden ließen, die Beschäftigten der Klinik von der Mitarbeitervertretung der Dienststelle sach-gerecht vertreten werden könnten, die künftige Arbeitsfähigkeit der antragstellenden Mitarbeitervertretung zweifelhaft erscheine und es angesichts der beabsichtigten Mitar-beitervertretung im Unternehmensverbund mit einem anderen Diakoniewerk keinen Grund für die weitere Existenz einer Mitarbeitervertretung in der Klink gebe.
Die Mitarbeitervertretung hat vorgetragen, dass der Beschluss vom 7. Februar 1989 ordnungsgemäß zustande gekommen sei. Von der Dienststellenleitung seien in der Fol-gezeit die erforderlichen Wahlunterlagen jeweils zur Verfügung gestellt worden. Der Widerruf nach § 3 Absatz 3 MVG-EKD könne nur erklärt werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des § 3 Absatz 2 MVG-EKD vorlägen, also eine entsprechende Be-schlussfassung der Beschäftigten gegeben sei. Dieses zeige ein Vergleich mit § 5 Ab-satz 6 MVG-EKD, der ausdrücklich den Widerruf einer der Beteiligten ausreichen ließe. Das Fehlen eines solchen Hinweises in § 3 Absatz 3 MVG-EKD weise darauf hin, dass für den dort geregelten Widerruf das Verfahren nach § 3 Absatz 2 MVG-EKD mit der Folge eingehalten werden müsse, dass die Auflösung auch bei einem Widerruf durch die Dienststellenleitung der Zustimmung der Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter bedürfte, die vorliegend fehle. Außerdem sei der Widerruf rechtsmissbräuchlich, weil auch bei Fortbestand der Mitarbeitervertretung an der Klinik nicht die Gefahr einander widersprechenden Regelungen bestehe. Dieses Interesse werde durch § 6 Absatz 2 MVG-EKD geschützt. Der Leistungsbereich der Klinik unterscheide sich von dem der übrigen Einrichtungen. Die hohe Wahlbeteiligung in der Klinik spreche für das Engage-ment der dortigen Beschäftigten. An der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitervertretung bestünden keine Bedenken. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Bildung einer Gesamtmitarbeitervertretung im Dienststellenverbund dem Fortbestand der Mitar-beitervertretung entgegenstehen solle.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
festzustellen, dass die Erklärung der Antragstellerin vom 29. September 2016 über den Widerruf des Einverständnisses im Sinne von § 3 Absatz 2 Satz 1 MVG-EKD zur Bildung einer eigenen Mitarbeitervertretung in der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie unbeachtlich sei.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, dass schon nicht ersichtlich sei, dass der Beschluss im Jahre 1989 wirksam gefasst worden sei. Eine geheime Wahl sei nicht ersichtlich. Ferner sei ein Wahlvorstand bereits vor der Erteilung der Zustimmung der Dienststellenleitung bestellt worden. Das Einvernehmen nach § 3 Absatz 2 MVG-EKD könne gemäß § 3 Absatz 3 MVG-EKD widerrufen werden, wenn dem eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zugrunde liege. Neben den bereits mit dem Widerruf genannten Gründen sei zu berücksichtigen, dass eine Zuordnung der zur Klinik gehörenden Beschäftigten problematisch sei, wenn diese überordnete Aufgaben verrichteten.
Das Kirchengericht hat den Antrag der Mitarbeitervertretung mit Beschluss vom 19. Mai 2017 zurückgewiesen. Ein Widerruf nach § 3 Absatz 3 MVG-EKD setze keine Einigung zwischen Mitarbeiterschaft und Dienststellenleitung voraus. Gegen diesen Beschluss, der der Mitarbeitervertretung am 12. Juli 2017 zugestellt wurde, hat diese mit Schriftsatz vom 13. Juli 2017, beim Kirchengerichtshof eingegangen am selben Tag, Beschwerde eingelegt. Mit Schriftsatz vom 10. September 2017, eingegangen beim Kirchenge-richtshof am 11. September 2017, hat die Mitarbeitervertretung die Verlängerung der Frist zur Begründung der Beschwerde beantragt. Die Frist ist daraufhin um einen Monat verlängert worden. Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2017, beim Kirchengerichtshof ein-gegangen am 10. Oktober 2017, hat die Mitarbeitervertretung die Beschwerde begründet.
Die Mitarbeitervertretung hält den angegriffenen Beschluss für unzutreffend und begründet dieses unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Bei einem Abgleich von § 3 Absatz 3 MVG-EKD mit § 5 Absatz 6 MVG-EKD spreche vieles dafür, dass es sich bei § 3 Absatz 3 MVG-EKD um ein Redaktionsversehen han-dele, weil in § 5 Absatz 6 MVG-EKD ausdrücklich geregelt worden sei, dass eine der Beteiligten den Widerruf erklären könne und ferner hierfür eine Form und eine Frist vorgesehen seien. Wenn der Gesetzgeber Unterschiedliches regele, müsse davon ausgegangen werden, dass er auch Unterschiedliches wolle. Für dieses Verständnis spreche, dass nach § 3 Absatz 3 Satz 2 MVG-EKD für das Verfahren ausdrücklich § 3 Absatz 2 MVG-EKD gelte.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Kirchengerichts des Nordelbischen Dia-konischen Werkes vom 19. Mai 2017 (I-05/15-RD) festzustellen, dass die Erklärung der Antragsgegnerin vom 29. September 2016 über den Widerruf des Ein-verständnisses im Sinne von § 3 Absatz 2 Satz 1 MVG-EKD zur Bildung einer eigenen Mitarbeitervertretung in der Fachklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie unbeachtlich ist.
Die Dienststellenleitung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hält den angegriffenen Beschluss für zutreffend.
II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1) Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 63 Absatz 1 MVG-EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof der EKD hat sie zur Entscheidung angenommen.
2) Die Beschwerde ist unbegründet, weil der Antrag der Mitarbeitervertretung zwar zuläs-sig, aber unbegründet ist.
a) Der Antrag ist zulässig. Für die Geltendmachung der Unbeachtlichkeit des von der Dienststellenleitung erklärten Widerrufs ist ein feststellender Antrag das geeignete und gebotene Mittel. Es gibt für die Mitarbeitervertretung keine andere Möglichkeit, die Wirk-samkeit einer solchen Erklärung im Vorwege einer Wahl überprüfen lassen zu können. Als Alternative gibt es nur die Möglichkeit, eine Wahl in der Klinik durchzuführen. Die Wirksamkeit des Widerrufs könnte dann im Wege der Wahlanfechtung geklärt werden. Dieses wäre aber anders als ein feststellender Antrag erst bei der Neuwahl der Mitarbei-tervertretung möglich. Es besteht aber ein Interesse daran, die Neuwahl bereits in der zutreffenden Einheit durchzuführen. Dazu gibt es keine andere Möglichkeit als einen feststellenden Antrag, an dem aus diesen Gründen auch das erforderliche Feststellungs-interesse besteht.
b) Der Antrag ist unbegründet. Die Beteiligte zu 2 konnte nach § 3 Absatz 3 MVG-EKD den Widerruf wirksam einseitig erklären. Die zugrundeliegende Entscheidung musste nicht billigem Ermessen entsprechen. Sie war nicht rechtsmissbräuchlich.
aa) Der Widerruf nach § 3 Absatz 3 MVG-EKD kann von der Dienststellenleitung einseitig erklärt werden. Es bedarf zu seiner Wirksamkeit nicht der Zustimmung der Mehrheit der Beschäftigten.
Es ergibt sich bereits aus der Verwendung des Begriffs „Widerruf“, dass es keines Ein-vernehmens mit anderen Stellen oder der Mitarbeiterschaft bedarf. Der Widerruf ist ein-seitiges juristisches Gestaltungsrecht und keine Vereinbarung. Eine Gestaltungserklärung, die der Zustimmung der Gegenseite bedarf, ist kein Widerruf. Die Benutzung des Begriffs „Widerruf“ durch den Gesetzgeber steht dem Verständnis der Mitarbeitervertre-tung entgegen.
Etwas anderes folgt nicht aus dem Abgleich mit § 5 Absatz 6 MVG-EKD. Dort ist die Situation von vornherein anders, weil es mindestens vier Beteiligte gibt, nämlich mindestens zwei Belegschaften und zwei Dienststellenleitungen. Für die Bildung einer gemeinsamen Mitarbeitervertretung bedarf es nach § 5 Absatz 2 MVG-EKD des Einvernehmens der Dienststellenleitungen einerseits und der Mehrheit der Beschäftigten der jeweiligen Beleg-schaften andererseits. Bei einer solchen Konstellation bedarf es der Klärung, ob ein Widerruf nur von allen beteiligten Dienststellenleitungen gemeinsam oder den Mehrheiten der Beschäftigten in allen beteiligten Dienststellen erklärt werden kann oder von jeder der Stellen einzeln. Hier hat das Gesetz entschieden, dass jede Beteiligte für sich wirksam einen Widerruf erklären kann. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn auf jeder Seite nur eine Beteiligte vorhanden ist.
Das Erfordernis einer Schriftform hat ebenfalls nicht die gleiche Bedeutung wie in einem Mehrpersonenverhältnis, wenn es nur um eine Erklärende einerseits und eine einzige Gruppe von Erklärungsempfängern andererseits geht. Anders als in einem mehrgliedri-gen Verhältnis ist das Dokumentationserfordernis in einem zweigliedrigen Verhältnis nicht von demselben Gewicht, weil die Dienststellenleitung und die eine Belegschaft regelmä-ßig miteinander kommunizieren werden.
Das Bestehen einer Frist in § 5 Absatz 6 MVG-EKD ist ohne Aussagekraft über das Erfordernis eines Einvernehmens der Belegschaft. Im Übrigen beinhaltet auch § 3 Absatz 3 MVG-EKD eine Zeitbestimmung für die Wirksamkeit der Erklärung, weil dort angeordnet ist, dass die Wirksamkeit der Erklärung mit Beginn der nächsten Amtszeit eintritt.
Das Erfordernis eines Einvernehmens ergibt sich nicht daraus, dass § 3 Absatz 3 Satz 2 MVG-EKD für das Verfahren auf § 3 Absatz 2 MVG-EKD verweist. In § 3 Absatz 2 MVG-EKD ist in der Tat das Verfahren für die Willensbildung der Mitarbeiterschaft geregelt, die ihrerseits ja auch einen Widerruf erklären kann. Die Frage, ob ein Widerruf einseitig oder nur im Einvernehmen mit der anderen Seite erklärt werden kann, ist außerdem keine Verfahrensfrage, sondern eine solche der inhaltlichen Gestaltung eines Rechts.
Schließlich folgt die einseitige Widerrufsmöglichkeit auch aus dem systematischen Zusammenhang des Mitarbeitervertretungsrechts. Zwischen den Beteiligten geschlossene Dienstvereinbarungen können nach § 36 Absatz 5 MVG-EKD gekündigt werden. Eine solche einseitige Lösung von einer einmal verabredeten Selbständigkeit nach § 3 Absatz 2 MVG-EKD wäre nicht möglich. Beide Seiten wären davon abhängig, dass die jeweils andere Seite einverstanden wäre. Eine derartige Bindungswirkung wäre nicht nur überra-schend und bedürfte besonderer, aber im Gesetz nicht vorhandener Anhaltspunkte, son-dern wäre auch nicht ansatzweise mit dem Begriff „Widerruf“ in Übereinstimmung zu bringen.
bb) Die Erklärung des Widerrufs ist nicht nur wirksam, wenn sie billigem Ermessen ent-spricht. Es ist nicht ersichtlich, woraus sich eine derartige Bindung an billiges Ermessen ergeben soll. Erklärungen, die eine Seite gegenüber der anderen im Rahmen des Mitarbeitervertretungsrechts ausübt, erfolgen - wenn das Gesetz nicht besondere Erfordernisse aufstellt - auf einer betriebspolitischen Grundlage. Die Grenzen werden durch die Dienstgemeinschaft und das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gezogen. Das bedeutet aber nicht, dass jede einzelne der Entscheidungen angemessen die Interessen der Gegenseite einzubeziehen und zu berücksichtigen hat. Im Rahmen der Mitarbeitervertretung nimmt jede Seite ihre eigenen Interessen war.
cc) Eine immer verbotene rechtsmissbräuchliche Wahrnehmung von Positionen ist auch mitarbeitervertretungsrechtlich nicht zulässig. Für sie gibt es aber keine Anhaltspunkte.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Absatz 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Absatz 1 KiGG.EKD).