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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:26.02.2018
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/32-2017
Rechtsgrundlage:§ 26 AVR-DD, § 61 Abs. 1 MVG-EKD, § 36 MVG-EKD, § 40m MVG-EKD
Vorinstanzen:Kirchengericht der Evangelischen Kirche in Deutschland Kammern für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten, Beschluss vom 1. März 2017, I-2708/21-2016
Schlagworte:Antragsfrist nach § 61 Abs. 1 MVG-EKD, Dienstvereinbarung über Beihilfeleistungen,
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Leitsatz:

Die Kundgabe einer Rechtsauffasung ist keine „Maßnahme“ und kein „Rechstverstoß“, der die Frist des § 61 Abs. 1 MVG-EKD auslöst.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Kirchengerichts der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kammern für mitarbeitervertretungs-rechtliche Streitigkeiten vom 1. März 2017 – I-2708/21-2016 – abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Antragsgegner verpflichtet ist, aufgrund der Dienstvereinbarung vom 10. Januar 2006 bis zum Abschluss einer Folge-dienstvereinbarung Beihilfeleistungen denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-tern zu gewähren, mit denen die Geltung der AVR DD vereinbart sind, es sei denn, die Verpflichtung zur Gewährung einer Beihilfe nach § 26 AVR DD entfällt.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Erbringung von Beihilfeleistungen auf Grundlage einer gekündigten Dienstvereinbarung.
Die Antragsgegnerin ist eine bundesweit tätige diakonische Einrichtung und als gemeinnützi-ger und mildtätiger Verein anerkannt. Auf die Beschäftigungsverhältnisse kommen für die vor 2010 geschlossenen Verträge die AVR-DD und für die ab dem 1. Januar 2010 geschlossenen Arbeitsverträge von den Beteiligten als „AVR-J“ bezeichnete Arbeitsvertragsrichtlinien zur Anwendung.
Die Beteiligten schlossen Anfang 2006 eine Dienstvereinbarung über die Erbringung von Bei-hilfeleistungen. Die Dienstvereinbarung sah die Erbringung von Beihilfeleistungen durch eine private Krankenversicherung und die Übernahme der Kosten dieser Versicherung durch die A vor. Zuvor hatte A die Beihilfeleistungen über eine Beamtenkrankenkasse erbracht.
§ 4 der Dienstvereinbarung regelt wie folgt:
„Im Falle der Kündigung gelten die in dieser Dienstvereinbarung begründeten Rechte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis zum Inkrafttreten einer Folgedienstvereinbarung (vgl. § 36 Abs. 4 MVG-EKD) fort, es sei denn, die Verpflichtung zur Gewährung einer Beihilfe nach § 26 AVR entfällt.“
§ 26 AVR-DD regelt wie folgt:
„§ 26 Beihilfen bei Krankheits-, Geburts- und Todesfällen, Unterstützungen
(1) Für die Gewährung von Beihilfen im Krankheits-, Geburts- und Todesfällen sowie von Unterstützungen gelten die für die in Anstalten und Einrichtungen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch die zuständigen Organe getroffenen Beihilferegelungen.
(2) In Ermangelung einer Regelung nach Absatz 1 erhalten alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die im Rahmen der Familienversicherung mitversicherten Angehörigen Beihilfen nach Absatz 3 …“
Seit dem 1. Januar 2010 wendet die Antragsgegnerin auf ihre Arbeitsverhältnisse die AVR-J an. Diese Richtlinien enthielten zunächst in § 28 eine § 26 AVR-DD nachgebildete Beihilfere-gelung. Zum 1. Januar 2016 wurde im Zuge einer Überarbeitung der AVR-J die Gewährung von Beihilfen in Krankheitsfällen abgeschafft, § 28 AVR-J sieht nun die pauschale Zuwen-dung bei Geburt und Tod eines Angehörigen vor.
Mit Schreiben vom 15. Juli 2015 hat die private Krankenversicherung die seitens der An-tragsgegnerin abgeschlossene Beihilfeversicherung zum 31. Dezember 2015 gekündigt. Die Dienststellenleitung hat am 21. September 2015 gegenüber der Antragstellerin die Dienstver-einbarung zum 31. Dezember 2015 gekündigt. Die Antragsgegnerin erbringt seither gegenüber den Mitarbeitern/innen, mit denen die AVR-DD vereinbart sind, die in § 26 Abs. 3 AVR-DD geregelten Beihilfeleistungen, nicht aber mehr weitergehende auf Grundlage der bis zu diesem Zeitpunkt bestehenden privaten Krankenversicherung geregelte Beihilfeleistungen.
Gegenüber der Antragstellerin hat die Antragsgegnerin zunächst mit Handout vom 23. Februar 2016 (Bl. 142 d. Vorakte) hinsichtlich der Nachwirkung der Dienstvereinbarung zunächst den Standpunkt vertreten, für die AVR-DD Mitarbeiter/innen entfalte die Dienstvereinbarung Nachwirkung, da die Anspruchsgrundlage im AVR-DD noch bestehe (Bl. 142 d. Vorakte). In einem Gespräch am 22. Juni 2016 hat die Antragsgegnerin eine Nachwirkung der Dienstver-einbarung abgelehnt. Dies hat die Antragstellerin am 10. Juli 2016 in der „GMAV-Info 3 aus 2016“ kommuniziert.
Mit dem am 28. September 2016 beim Kirchengericht eingegangenen Antrag begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass die dienstgeberseitig gekündigte Dienstvereinbarung „Beihilfe“ bis zum Abschluss einer Folgedienstvereinbarung nachwirkt.
Das Kirchengericht hat mit Beschluss vom 1. März 2017, auf den vollinhaltlich verwiesen wird, diesen Antrag zurückgewiesen und die Auffassung vertreten, der Antrag sei nach § 61 Abs. 1 MVG-EKD verfristet; die zugrundeliegende Dienstvereinbarung sei darüber hin-aus mangels Regelungskompetenz der Beteiligten nicht wirksam zustande gekommen und könne auch deshalb keine Nachwirkung entfalten.
Mit der Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihr Antragsbegehren insoweit weiter, als sie Feststellung der Nachwirkung der Dienstvereinbarung „Beihilfe“ für die Arbeitsverhältnisse begehrt, die mit Verweis auf die AVR-DD abgeschlossen worden sind.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Kirchengerichts der EKD vom 1. März 2017 festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, aufgrund der Dienstvereinbarung vom 10. Januar 2006 Beihilfeleistungen denjenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu gewähren, mit denen die Geltung der AVR-DD vereinbart sind, und zwar bis zum Abschluss einer Folgedienstvereinbarung, es sei denn, die Verpflichtung zur Gewährung einer Beihilfe nach § 26 AVR-DD entfällt.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Bezüglich des weiteren Vortrages der Beteiligten und der geäußerten Rechtsansichten wird verwiesen auf die wechselseitigen zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörte-rung in der mündlichen Anhörung.
II. Die frist- und formgerecht eingereichte und begründete Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das Kirchengericht hat den Antrag zu Unrecht zurückgewiesen. Die Dienstverein-barung vom 10./23. Januar 2006 wirkt nach § 4 bis zum Inkrafttreten einer Folgedienstverein-barung (§ 36 Abs. 4 MVG-EKD) fort, es sei denn, die Verpflichtung zur Gewährung einer Bei-hilfe nach § 26 AVR entfällt. Diese Nachwirkung besteht jedenfalls für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, mit denen die Geltung der AVR-DD vereinbart sind.
1. Entgegen der Auffassung des Kirchengerichts hat die Antragstellerin die Frist des § 61 Abs. 1 MVG-EKD zur Anrufung des Kirchengerichts nicht versäumt.
a) Nach § 61 Abs. 1 MVG-EKD beträgt, sofern keine besondere Frist für die Anrufung des Kirchengerichts festgelegt ist, die Frist zwei Monate nach Kenntnis einer Maßnahme oder eines Rechtsverstoßes im Sinne von § 60 Abs. 1 MVG-EKD.
b) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin liegt keine „Maßnahme“ oder ein „Rechts-verstoß“ vor, der den Lauf der Frist des § 61 Abs. 1 MVG-EKD in Lauf setzen konnte. Unab-hängig davon, dass die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin zunächst in dem Handout zur Nachwirkung ausdrücklich die Nachwirkung für die AVR-DD Mitarbeiter und damit die Rechtsauffassung der Antragstellerin bestätigt hat, liegt auch dann keine „Maßnah-me“ bzw. ein „Rechtsverstoß“ vor, wenn die Antragsgegnerin in der Sitzung am 22. Juni 2016 die gegenteilige Auffassung vertreten und die Nachwirkung der gekündigten Dienstvereinba-rung als ausgelaufen erklärt hat. Darin liegt lediglich die Kundgabe einer Rechtsansicht, nicht aber eine fristauslösende „Maßnahme“ oder ein „Rechtsverstoß“. Zwischen den Beteiligten besteht, wenn die Dienstvereinbarung wirksam zustande gekommen ist, ein kraft Nachwirkung fortbestehendes, dauerhaftes Rechtsverhältnis über den Zeitpunkt der Kündigung hin-aus. Dieses Dauerrechtsverhältnis endet nicht durch Kundgabe einer Rechtsauffassung, unabhängig davon, ob diese zutreffend oder unzutreffend ist.
2. Entgegen der Auffassung des Kirchengerichts ist die streitbefangene Dienstvereinbarung vom 10./23. Januar 2006 nicht wegen eines Verstoßes gegen § 36 Abs. 1 S. 2 MVG-EKD unwirksam.
a) Nach § 36 Abs. 1 MVG-EKD können Mitarbeitervertretung und Dienststellenleitung Dienstvereinbarungen abschließen. Dienstvereinbarungen dürfen Regelungen weder erwei-tern, einschränken noch ausschließen, die auf Rechtsvorschriften, insbesondere Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission, Tarifverträgen und Entscheidungen des Schlichtungsaus-schusses nach dem Arbeitsrechtsregelungsgesetz oder allgemein verbindlichen Richtlinien der Kirche beruhen. Arbeitsentgelte oder sonstige Arbeitsbedingungen, die in den in Satz 2 genannten Regelungen vereinbart worden sind oder üblicherweise vereinbart werden, können nicht Gegenstand einer Dienstvereinbarung sein, es sei denn, die Regelung nach Satz 2 lässt eine Dienstvereinbarung ausdrücklich zu.
b) § 36 MVG-EKD öffnet den Weg zu Dienstvereinbarungen und bestimmt gleichzeitig die Schranken dieser Regelungsbefugnis. Damit soll sichergestellt werden, dass die in AVR oder Tarifverträgen geregelten Beschäftigungsbedingungen durch Dienstvereinbarungen nicht verändert werden können. Dies gilt nach § 36 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD insbesondere für Ar-beitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen.
c) § 36 Abs. 1 S. 3 MVG-EKD lässt allerdings ausdrücklich abweichende Regelungen durch Dienstvereinbarung zu, soweit die einschlägige Rechtsvorschrift eine entsprechende Öff-nungsklausel hat und abweichende Dienstvereinbarungen ausdrücklich zulässt. So ist es vor-liegend.
aa) § 26 Abs. 1 AVR-DD bestimmt ausdrücklich, dass für die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen sowie von Unterstützungen die für die in Anstalten und Einrichtungen tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die durch die zuständigen Organe ge-troffenen Beihilferegelungen gelten. Nur für den Fall, dass keine Regelung besteht, sollen die in § 26 Abs. 3 AVR-DD geregelten Leistungen greifen. Damit öffnet § 26 Abs. 1 AVR-DD den Weg zu individuellen Beihilferegelungen in Anstalten und Einrichtungen.
bb) Entgegen der Auffassung des Kirchengerichts und der Antragsgegnerin ist „zuständiges Organ“ nicht allein der Bundesvorstand der A, sondern gleichermaßen die Gesamtmitarbei-tervertretung. Zuständig für eine abweichende Gestaltung der Beihilfebedingungen können nur die Rechtsträger sein, die eine nach Maßgabe des MVG-EKD wirksame abweichende Regelung treffen können. Der Bundesvorstand der A könnte ohne Zustimmung der zuständi-gen Mitarbeitervertretung keine Beihilferegelungen erlassen, da nach § 40 m) MVG-EKD ein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung für die Gewährung von Unterstützungen oder sonstigen Zuwendungen besteht, auf die kein Rechtsanspruch besteht. Zwar besteht ein Rechtsanspruch nach § 26 Abs. 3 AVR-DD auf die dort geregelten Beihilfeleistungen, nicht aber (bis zur Vereinbarung) auf abweichende einrichtungsbezogene Leistungen. Einrich-tungsbezogene Leistungen können ohne Zustimmung der zuständigen Mitarbeitervertretung kollektivrechtlich nicht wirksam in Kraft gesetzt werden, der Dienstgeber kann nicht durch einseitige Beihilferegelungen das Niveau des § 26 Abs. 3 AVR-DD unterschreiten. Dies ist nur auf Grundlage einer mitbestimmten Regelung nach § 40 m) MVG-EKD möglich. „Zuständige Organe“ im Sinne von § 26 Abs. 1 AVR-DD sind deshalb die handlungsbefugten Gremien des jeweiligen Rechtsträgers, die rechtsverbindlich Regelungen treffen können, vorliegend das gesetzliche Vertretungsorgan der Antragsgegnerin und die zuständige Mitarbeitervertretung.
d) Es ist nicht fernliegend, auch auf Grundlage der Rechtsauffassung des Kirchengerichts und der Antragsgegnerin zum selben Ergebnis –fortwährender Anspruch auf Gewährung von Beihilfeleistungen nach Maßgabe der Beihilfeversicherung – zu kommen. Eine unwirksame Betriebsvereinbarung (Dienstvereinbarung) kann entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umgedeutet werden, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unab-hängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser Vereinbarung vorgesehenen Leistungen zu gewähren (BAG 19. Juni 2012 – 1 AZR 137/11). Selbst wenn ein diesbezüglicher hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden zu wollen, nur in Ausnahmefällen angenommen werden kann, ist nach jahrelanger Beihilfegewährung auf Grundlage mehrerer privater Krankenversicherungen die Annahme eines solchen Willens nicht fernliegend; eine Abänderung wäre dann entweder nur einzelver-traglich oder aber durch ablösende Dienstvereinbarung dann möglich, wenn – was gleichermaßen nicht fernliegend wäre - in der Gesamtzusage konkludent eine kollektivrechtliche Möglichkeit der Abänderung enthalten war.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).
Mestwerdt Bock Neuendorf