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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:27.06.2017
Aktenzeichen:II-0124/8-2017
Rechtsgrundlage:MVG.K § 46, BGB §§ 188, 130
Vorinstanzen:Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke ev. Kirchen in Niedersachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe – Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V., Beschluss vom 12. Dezember 2016, Az.: 2 VR MVG 47/16
Schlagworte:Erörterungsverlangen, Fristenlauf, Mündlichkeitsprinzip
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Leitsatz:

1. Die Frist, Erörterung nach § 46 Abs. 1 MVG-K zu verlangen, endet nach § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des letzten Tages der Frist, nicht mit Dienstschluss der Dienststellenleitung (Aufgabe von VerwG.EKD, Be-schluss vom 27. April 1995 – 0124/5-95).
2. Es bleibt unentschieden, ob § 130 BGB auf ein Erörterungsverlangen der MAV zur Anwendung kommt (Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden).
3. Eine Erörterung im Rechtssinne setzt die mündliche Aussprache zwischen den Beteiligten voraus. Ein schriftlicher Meinungsaustausch kann nur bei beiderseitigem Einvernehmen eine mündliche Erörterung ersetzen (KGH.EKD, Beschluss vom 3. Februar 2014 – II-0124/V30-13).

Tenor:

In dem
mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschwerdeverfahren
mit den Beteiligten
Gemeinsame Mitarbeitervertretung A
- Antragstellerin und Beschwerdegegnerin -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt B
und
Dienststellenleitung C
- Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt D
hat der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland - Zweiter Senat für mit-arbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - durch den Vorsitzenden Richter Mestwerdt, die Richterin Bock und die Richterin Neuendorf aufgrund der mündlichen Verhandlung am 26. Juni 2017 beschlossen:
Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke ev. Kirchen in Niedersachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V. - vom 12. Dezember 2016 - 2 VR MVG 47/16 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über das Mitberatungsrecht der Mitarbeitervertretung nach § 46 MVG-K.
Die Dienststelle, Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin, ist Träger der freien Wohlfahrts-pflege im Bereich der Behindertenhilfe. 800 Bewohner werden an sieben Tage in der Woche von ca. 1.200 Mitarbeitern betreut. Es besteht eine Gemeinsame Mitarbeitervertretung (Antragstellerin und Beschwerdegegnerin), die Mitbestimmung richtet sich nach dem Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen über Mitarbeitervertretungen (nachfolgend: MVG-K).
Die Beschwerdeführerin erlangte am 20. September 2016 Kenntnis von Verdachtsmomenten im Hinblick auf ein übergriffiges Verhalten eines Lehrers / Sozialpädagogen gegenüber einer minderjährigen behinderten Schülerin; sie hörte den Betroffenen am 20. September 2016 zu den Vorfällen an und gab nach weiteren Ermittlungen am 28. September 2016 der Be-schwerdegegnerin unter Verkürzung der Beratungsfrist auf drei Arbeitstage die beabsichtigte außerordentliche Kündigung bekannt. Die Beschwerdegegnerin beschloss am 4. Oktober 2016, mündliche Erörterung zu verlangen. Ihr Vorsitzender brachte das entsprechende Schreiben am 4. Oktober 2016 gegen 16.40 Uhr persönlich in das Büro der Verwaltungsleiterin. Anwesend waren die Verwaltungsleiterin und die Sekretärin. Der Vorsitzende der Be-schwerdegegnerin überreichte das Schreiben der Sekretärin, diese reichte es an die Verwal-tungsleiterin weiter, eine Erörterung zwischen den Beteiligten gab es am 4. Oktober 2016 über den Vorgang nicht. Die Beschwerdeführerin schrieb am 4. Oktober 2016 an die Beschwerde-gegnerin, sie beende das Mitberatungsverfahren nach §§ 46, 47 MVG-K, es seien keine ent-lastenden Punkte vorgetragen worden.
Mit dem am 17. Oktober 2016 bei der Schiedsstelle eingegangenen Antrag hat die antragstel-lende Mitarbeitervertretung, soweit in der Beschwerdeinstanz noch von Bedeutung, Feststellung begehrt, dass die Weigerung der Dienststellenleitung, die mündliche Erörterung im Rah-men des Mitberatungsverfahrens durchzuführen, die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt habe.
Die Schiedsstelle hat diesem Antrag entsprochen unter Hinweis darauf, eine Erörterung kön-ne ohne Zustimmung der Gegenseite nicht einseitig durch schriftlichen Meinungsaustausch ersetzt werden, die einseitige Beendigung ohne Erörterung verletze die Rechte der gemein-samen Mitarbeitervertretung.
Mit der form- und fristgerecht eingereichten und begründeten Beschwerde begehrt die Be-schwerdeführerin Abänderung dieses Beschlusses und die Zurückweisung des Antrages der Mitarbeitervertretung. Sie vertritt unter Berufung auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts der EKD (VerwG.EKD, Beschluss vom 27. April 1995, 0124/5-95) die Auffassung, am 4. Oktober 2016 um 16.40 Uhr sei die Frist zur Stellungnahme im Rahmen des Mitberatungsverfahrens bereits abgelaufen gewesen, da regelmäßiger Dienstschluss in der Verwaltung um 16.30 Uhr sei. Eine Erörterung könne auch schriftlich erfolgen, wie sich im Umkehrschluss aus § 39 Abs. 3 MVG-K ergebe, wonach ausdrücklich eine „mündliche“ Erörterung beantragt werden könne. Eine mündliche Erörterung sei deshalb nicht zwingend vorgesehen, vielmehr habe es der Mitarbeitervertretung oblegen, ihre Einwendungen unverzüglich innerhalb der 3-Tages-Frist vorzutragen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss der Schiedsstelle des Diakonischen Werkes evangelischer Kirchen in Niedersachen e.V. vom 12. Dezember 2016 - 2 VR MVG 47/16 abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird Bezug genommen auf die wechsel-seitigen zu den Akten gereichten Schriftsätze sowie auf die Erörterung in der mündlichen An-hörung.
II. Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet, da die gemeinsame Mitarbeitervertretung nicht nach Maßgabe von § 46 Abs. 1 MVG-K im Hinblick auf die beabsichtigte außerordentliche Kündigung beteiligt worden ist.
1. Der Feststellungsantrag der Beschwerdegegnerin ist zulässig, nach § 46 Abs. 2 S. 2 MVG-K kann die Mitarbeitervertretung binnen zwei Wochen nach Kenntnis der Maßnahme die Schiedsstelle anrufen, wenn sie nicht nach Absatz 1 beteiligt worden ist. Dies macht die Beschwerdegegnerin geltend, sie hat den Antrag fristgerecht eingereicht.
2. Der Antrag ist begründet, dies hat die Schiedsstelle mit zutreffender Begründung erkannt. Die Beschwerde ist deshalb zurückzuweisen.
a) Nach § 46 Abs. 1 MVG-K ist in den Fällen der Mitberatung - u.a. gemäß § 47 Ziffer 2 MVG.K bei der außerordentlichen Kündigung - der Mitarbeitervertretung eine beabsichtigte Maßnahme rechtzeitig vor der Durchführung bekannt zu geben und auf Verlangen mit ihr zu erörtern. Nach § 46 Abs. 1 Satz 3 MVG-K kann in den Fällen des § 47 Ziffer 2 MVG-K (außerordentlichen Kündigung) die Dienststellenleitung die Frist bis auf drei Arbeitstage abkürzen. Äußert sich die Mitarbeitervertretung nach § 46 Abs. 1 Satz 4 MVG-K nicht binnen der verkürzten Frist nach Zugang der Mitteilung an ihren Vorsitzenden oder hält sie bei der Erörte-rung ihre Einwendungen oder Vorschläge nicht aufrecht, so gilt die Maßnahme als gebilligt. Nach § 46 Abs. 1 Satz 6 MVG-K hat die Dienststellenleitung oder die Mitarbeitervertretung im Fall einer Nichteinigung die Erörterung für beendet zu erklären, nach § 46 Abs. 1 Satz 7 MVG-K hat die Dienststellenleitung eine abweichenden Entscheidung gegenüber der Mitarbeitervertretung schriftlich zu begründen.
b) Die Beschwerdeführerin hat die Frist für die gemeinsame Mitarbeitervertretung, Erörte-rung zu verlangen, auf drei Arbeitstage verkürzt, entgegen der Auffassung der Beschwerde-führerin hat die Beschwerdegegnerin innerhalb dieser Frist auch Erörterung beantragt.
aa) Nach Zugang des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 28. September 2016 mit der Bekanntgabe der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung und der Verkürzung der Frist auf drei Arbeitstage konnte die Beschwerdegegnerin bis zum 4. Oktober 2016 Erörterung verlangen. Der Fristenlauf begann gemäß § 187 Abs. 1 BGB am 29. September 2016 und endete nach § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des letzten Tages der Frist, mithin des 4. Oktober 2016; gem. § 193 BGB trat an die Stelle des Samstags, des 1. Oktobers, des Sonntags, des 2. Oktobers und des gesetzlichen Feiertags, des 3. Oktobers, der nächste Werktag, dies war der 4. Oktober 2016.
bb) Die Frist, Erörterung zu verlangen, endete nach § 188 Abs. 1 BGB mit Ablauf des letz-ten Tages der Frist, mithin mit Ablauf des 4. Oktober 2016. Soweit das Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland in früherer Rechtsprechung die Auffassung vertreten hat, beim Zugang einer fristgebundenen Erklärung an den Dienstgeber ende die Frist zur Stellungnahme nicht um Mitternacht sondern im Zeitpunkt des normalen Dienstschlusses der Dienststellenleitung (VerwG.EKD, Beschluss vom 27. April 1995, 0124/5-95), wird daran nicht festgehalten. Für diese Auffassung (so auch LAG Hamm, 11. Februar 1992 - 2 SA 1615/91 - LAGE BetrVG 1972 § 102 Nr. 33, unent-schieden KGH.EKD Beschluss vom 24. Januar 2005 - II-0124/K56-04), fehlt eine gesetzliche Grundlage (zutreffend BAG 8. April 2003 - 2 AZR 515/02 - zur Beteiligung nach § 102 Be-trVG), § 188 Abs. 1 BGB ist insofern eindeutig und einer einschränkenden Auslegung nicht zugänglich.
cc) Innerhalb der bis zum Ablauf des 4. Oktober 2016 laufenden Frist hat die Beschwerde-gegnerin Erörterung beantragt, das Verlangen ist der Dienststellenleitung am 4. Oktober zu-gegangen. Unstreitig hat die zuständige Verwaltungsleiterin am 4. Oktober 2016 um 16.40 Uhr durch Übergabe an die Sekretärin und Weiterreichung an sie Kenntnis von dem Erörte-rungsverlangen der Beschwerdegegnerin erlangt. Ob auf ein Erörterungsverlangen der Mitar-beitervertretung nach § 46 Abs. 1 S. 2 MVG-K § 130 BGB (Wirksamwerden einer Willenser-klärung gegenüber Abwesenden) zur Anwendung kommt, wonach eine Willenserklärung erst dann zugegangen ist, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen, bedarf vorliegend deshalb keiner Entscheidung.
c) Eine „Erörterung“ im Sinne von § 46 Abs. 1 MVG-K hat nicht stattgefunden. Erörtern bedeutet, ausführlich und detailliert über einen bestimmten Sachverhalt zu sprechen (Online-wörterbuch: „erörtern“) bzw. ausführlich und oft in einzelgehend über einen noch nicht geklär-ten Sachverhalt sprechen und diskutieren (Duden: „erörtern“); eine Erörterung hat demzufol-ge grundsätzlich mündlich zu erfolgen. Dies entspricht den in § 34 MVG-K geregelten Grundsätzen für die Zusammenarbeit, wonach in strittigen Fragen eine Einigung durch „Aussprache“ von beiden Seiten zu erstreben ist. Dass nach § 39 Abs. 3 MVG-K in Fällen der Mit-bestimmung eine „mündliche“ Erörterung beantragt werden kann, bedeutet deshalb im Um-kehrschluss nicht, dass im Übrigen ein schriftlicher Meinungsaustausch erfolgen kann. Die gesetzlich vorgesehene mündliche Erörterung kann nur einvernehmlich durch den schriftlichen Austausch von Meinungen ersetzt werden (KGH.EKD, Beschluss vom 3. Februar 2014 - II-0124/V30-13).
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).
Mestwerdt Bock Neuendorf