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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 30.01.2017 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD I-0124/37-2015 |
Rechtsgrundlage: | MVG.EKD § 1 |
Vorinstanzen: | Kirchengericht – MVG – für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes – Kammer für das Diakonische Werk der Ev. Kirche in Mitteldeutschland e.V. - Beschluss vom 9. September 2015 |
Schlagworte: | Anwendbarkeit des MVG bei Gastmitgliedern |
Leitsatz:
1. Der Rechtsweg zu den Kirchengerichten ist nur gegeben, wenn die Voraussetzungen für eine Anwendbarkeit des Mitarbeitervertretungsgesetzes gegeben sind.
2. Gastmitglieder des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirchen in Mitteldeutsch-land sind jedenfalls diesem Werk nicht im Sinne des § 1 Abs. 2 MVG-EKD zugehörig, wenn sie ein auf dem „ersten Wege“ zustande gekommenes Arbeitsrecht anwenden.
Tenor:
In dem
mitarbeitervertretungsrechtlichen Beschwerdeverfahren
mit den Beteiligten
Mitarbeitervertretung A
- Antragstellerin und Beteiligte zu 1. -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin B
und
Dienststellenleitung A
- Beschwerdeführerin und Beteiligte zu 2. -
Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin C
beschließt der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland - Erster Senat für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten - durch den Vorsitzenden Richter Dr. Nause, die Richterin Bock und die Richterin Neuendorf am 30. Januar 2017:
Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 2. werden der Beschluss des Kirchenge-richts - MVG - für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungs-gesetzes, Kammer für das Diakonische Werk, vom 19. September 2015 abgeän-dert und der Antrag der Beteiligten zu 1. als unzulässig verworfen.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beteiligte zu 2. verpflichtet ist, die Kosten einer anwaltlichen Beratung der Beteiligten zu 1. zu tragen.
Die Beteiligte zu 2. ist Gastmitglied im Diakonischen Werk einer Landeskirche, derzeit befris-tet vom 1. Juli 2015 bis zum 30. Juni 2018. Das Landeskirchenamt der Landeskirche be-schloss zuletzt am 17. Februar 2015, die Gastmitgliedschaft der Beteiligten zu 2. im Diakoni-schen Werk zu bestätigen. Entsprechende Beschlüsse waren zu vorherigen befristeten Gastmitgliedschaften gefasst und der Beteiligten zu 2. mitgeteilt.
Bei der Beteiligten zu 2. finden nicht die AVR DW der Landeskirche oder die AVR EKD An-wendung, sondern eine von der Beteiligten zu 2. gestaltete "Arbeits- und Sozialordnung", auf die einzelvertraglich Bezug genommen wird. Zum 1. Januar 2015 wurde die Arbeits- und So-zialordnung umgestaltet.
Die Beteiligte zu 1. bat die Beteiligte zu 2. mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 und 5. März 2015 vergeblich um die Übernahme von anwaltlichen Beratungskosten. Diese sollten durch eine Beratung zur neu eingeführten Arbeits- und Sozialordnung entstehen. Die Beteiligte zu 2. lehnte die Übernahme erstmals mit Schreiben vom 20. Dezember 2014 ab, weil die Arbeits- und Sozialordnung nach der eigenen Einschätzung der Mitarbeitervertretung nicht zu deren Aufgaben gehöre.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, dass die Beteiligte zu 2. die Bera-tungskosten zu übernehmen habe.
Sie hat beantragt,
festzustellen, dass die Antragsgegnerin verpflichtet ist, die Antragstellerin von Kosten für einen Sachverständigen zur Beratung im Hinblick auf die zum 1. Januar 2015 neu ein-geführte Arbeits- und Sozialordnung bis zu einem Umfang von 1.000,00 € zuzüglich Mehrwertsteuer freizustellen.
Die Beteiligte zu 2. hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Beratung nicht erforderlich sei. Die Mitarbeiterver-tretung habe Angebote der Beteiligten zu 2., über die neue Arbeits- und Sozialordnung zu be-raten, ausgeschlagen und nicht zuvor Rechtsrat beim Diakonischen Werk der Landeskirche eingeholt. Es sei weder vom Grundsatz der Erforderlichkeit noch der Verhältnismäßigkeit getragen, sich ohne konkreten Anlass von einem Sachverständigen Kenntnisse auf Vorrat verschaffen zu lassen. Die in Aussicht gestellten Kosten der anwaltlichen Beratung seien zu hoch. Schließlich sei der kirchengerichtliche Antrag nicht rechtzeitig gestellt worden, weil der Antrag der Mitarbeitervertretung bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 2014 abgelehnt worden, der Antrag der Mitarbeitervertretung aber erst am 22. April 2015 beim Kirchengericht eingegangen sei.
Das Kirchengericht hat dem Antrag der Mitarbeitervertretung mit Beschluss vom 9. Septem-ber 2015 stattgegeben. Gegen diesen Beschluss, der der Beteiligten zu 2. am 11. September 2015 zugestellt wurde, hat sie mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2015, beim Kirchengerichtshof eingegangen am 8. Oktober 2015, Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 9. November 2015, beim Kirchengerichtshof ebenfalls eingegangen am selben Tage, begründet.
Die Beteiligte zu 2. hält den Beschluss des Kirchengerichts für falsch und trägt vor, dass mit der neuen Arbeits- und Sozialordnung ca. 400.000,00 € mehr für die Entgelte gezahlt würden als durch die Vorgängerregelung, gegen die sich die Mitarbeitervertretung nicht gewehrt hätte. Damit sei deren Verhalten widersprüchlich und rechtsmissbräuchlich. Es bleibe dabei, dass die Frist zur Anrufung des Kirchengerichts nicht eingehalten sei, weil im Schreiben vom 20. Dezember 2014 eindeutig die Ablehnung des Verlangens erklärt worden sei. Ein präzisierter Antrag auf Kostenübernahme könne auch nicht als neuer Antrag gewertet werden. Ferner habe sich die Mitarbeitervertretung dienststellenintern und innerhalb des Diakonischen Werks nicht ausreichend um die Klärung der Fragen bemüht.
Die Beteiligte zu 2. beantragt,
den Beschluss des Kirchengerichts - MVG - für Streitigkeiten aus der Anwendung des Mitarbeitervertretungsgesetzes, Kammer für das Diakonische Werk der Ev. Kirche in Mitteldeutschland e.V., vom 9. September 2015, Az. II-9-2015 abzuändern und die An-träge der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin aus deren Schriftsatz vom 21. April 2015 vollumfänglich zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 1. beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Die Beschwerde ist nach § 63 Abs. 1 MVG-EKD statthaft sowie frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kirchengerichtshof der EKD hat sie zur Entscheidung angenommen.
2. Die Beschwerde ist begründet. Der Antrag der Mitarbeitervertretung ist unzulässig, weil der Rechtsweg zu den Kirchengerichten nicht gegeben ist.
Nach § 60 MVG-EKD entscheiden die Kirchengerichte über alle Streitigkeiten, die sich aus der Anwendung des MVG-EKD zwischen den jeweils Beteiligten ergeben. An einer solchen Strei-tigkeit fehlt es vorliegend, weil das MVG-EKD nicht anwendbar ist. Für die gesetzliche Zustän-digkeit der Kirchengerichte ist es nicht ausreichend, dass das MVG-EKD tatsächlich angewen-det wird. Vielmehr müssen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anwendung erfüllt sein. Ein Rechtsweg zu Gerichten kann nur gegeben sein, wenn die Voraussetzungen für das Ge-setz, das diesen Rechtsweg vorsieht, gegeben sind.
Da die Beteiligte zu 2. im Sinne des § 1 Abs. 1 1. Alt. MVG-EKD keine Dienststelle kirchlicher Körperschaften, Anstalten und Stiftungen der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Gliedkirchen sowie ihrer Zusammenschlüsse ist, kann eine Anwendbarkeit des Mitarbeiterver-tretungsgesetzes nur in Frage kommen, wenn sie eine Einrichtung der Diakonie nach § 1 Abs. 1 2. Alt. und 2 MVG-EKD ist oder die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 MVG-EKD vorlie-gen.
a) Die Beteiligte zu 2. ist nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 und 2 MVG-EKD eine Einrichtung der Diakonie. Dazu müsste sie nach § 1 Abs. 2 MVG-EKD zu den einer gliedkirchlichen Diako-nie angeschlossenen Werken, Einrichtungen und Geschäftsstellen gehören. Das ist nicht der Fall. Die Gastmitgliedschaft der Beteiligten zu 2. begründet einen derartigen Anschluss an das Diakonische Werk der Landeskirche nicht.
§ 12 des Gesetzes über die Diakonische Arbeit in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutsch-land sieht vor, dass rechtlich selbständige Träger diakonischer Arbeit im Gebiet der Evangeli-schen Kirche in Mitteldeutschland und der Evangelischen Landeskirche Anhalts Mitglieder des Diakonischen Werkes werden können. Das Diakonische Werk vermittelt den Einrichtungen durch die Aufnahme als Mitglied die Eigenschaft als kirchliches Werk. Dabei ist Voraussetzung für die Aufnahme die Anerkennung der Satzung des Diakonischen Werks und die Bestätigung der Aufnahme durch das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland oder die zuständigen Organe der Evangelischen Kirche Anhalts.
Diesen Anforderungen genügt eine Aufnahme als Gastmitglied und deren Bestätigung durch das Landeskirchenamt nicht. Das folgt bereits aus einer Auslegung nach dem Wortlaut. Eine Gastmitgliedschaft ist schon begrifflich nicht als Mitgliedschaft zu verstehen, weil ein Gast nicht zugleich reguläres Mitglied sein kann. Während der Gast jedenfalls partiell Außenstehender ist, ist ein Mitglied in vollem Umfang zugehörig zu einem Verein.
Demgemäß vermittelt eine Aufnahme als Gastmitglied nicht im Sinne des § 12 des Gesetzes über die Diakonische Arbeit in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland die Eigenschaft als kirchliches Werk, weil dieses die Aufnahme gerade als Mitglied voraussetzt. Entsprechend kann die Bestätigung der Aufnahme als Gastmitglied durch das Landeskirchenamt nicht mit der Bestätigung der Aufnahme als Mitglied gleichgesetzt werden.
Dieses Wortlautverständnis wird durch den systematischen Zusammenhang bestärkt. Nach § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die Diakonische Arbeit in der Evangelischen Kirche in Mittel-deutschland ist das Diakonische Werk an die Grundentscheidungen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sowie der Evangelischen Landeskirche Anhalts gebunden. §§ 1 und 2 des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst des Diakonischen Werkes Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland e. V. sehen vor, dass die Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten durch auf dem Dritten Wege zustande gekom-mene Vorschriften geregelt werden. Dabei stellt § 1 folgenden Grundsatz auf:
"§ 1
Grundsatz des diakonischen Arbeitsrechts
Diakonischer Dienst ist durch den Auftrag der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat bestimmt. Die Erfüllung dieses Auftrages erfordert eine vertrauensvolle, partner-schaftliche Zusammenarbeit von diakonischen Leitungsorganen und diakonischen Mitar-beitern, die auch in der Gestaltung des diakonischen Arbeitsrechts ihren Ausdruck findet."
Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 des Diakoniegesetzes bedarf die Satzung des Diakonischen Werkes der Zustimmung des Landeskirchenamts der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und der zuständigen Organe der Evangelischen Landeskirche Anhalts. Die auf diesem Wege zu-stande gekommene Satzung regelt in § 8 Abs. 1 Buchst. h, dass die Mitglieder des Diakoni-schen Werkes verpflichtet sind, das Arbeitsvertragsrecht der beteiligten Kirchen einschließlich der Arbeitsrechtsregelungen des diakonischen Werkes oder ein anderes im Bereich der Evan-gelischen Kirchen auf dem Dritten Wege zustande gekommenes Arbeitsrecht anzuwenden. Aus wichtigem Grund kann hiervon nach § 8 Abs. 2 Sätze 1 und 3 der Satzung vom Vorstand des Diakonischen Werkes eine Ausnahme gemacht werden, wenn der Diakonische Rat zuge-stimmt hat, nachdem die Arbeitsrechtliche Kommission und die Mitarbeitervertretung angehört wurden.
Die Gesamtheit dieser Regelungen zeigt, dass Mitglied des Diakonischen Werkes nur sein kann, wer das kirchliche Arbeitsvertragsrecht anerkennt und anwendet. Ausnahmsweise kann für Mitglieder nach 8 Abs. 2 der Satzung eine Ausnahme gelten, um die es vorliegend aber nicht geht. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob diese Ausnahmeregelung dem Gesetz zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst des Diakonischen Werkes Evange-lischer Kirchen in Mitteldeutschland entspricht. Die Beteiligte zu 2. ist nämlich als Gastmitglied weder an § 8 Abs. 1 noch an § 8 Abs. 2 der Satzung gebunden. Damit braucht sie eine Grund-anforderung, die an die Mitglieder des Diakonischen Werkes gestellt ist, nicht zu erfüllen. Diese Grundanforderung hat eine herausragende Bedeutung, handelt es sich bei ihr doch um ein Er-fordernis, das sich nach § 1 des Gesetzes zur Regelung der Arbeitsverhältnisse aus dem Auf-trag der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat ergibt. Ein Gastmitglied ist damit an ein zentrales und aus dem Verkündigungsauftrag abgeleitetes Erfordernis diakonischen Wir-kens nicht gebunden. Damit überwiegt bei dem Gastmitglied nicht das Merkmal der Zugehörig-keit, sondern das Merkmal der Verschiedenheit. Dieses Trennende bewirkt, dass ein Gastmit-glied nach den kirchenrechtlichen Anforderungen nicht Mitglied im Sinne des § 12 des Diako-niegesetzes EKM sein kann und deshalb auch im Sinne des § 1 Abs. 2 MVG-EKD dem Diako-nischen Werk nicht angeschlossen ist.
b) Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 MVG-EKD sind schon deshalb nicht gegeben, weil entsprechende Beschlüsse der zuständigen Gremien der Beteiligten zu 2. nicht ersichtlich sind. Die Anwendung des MVG-EKD ist kein ausreichendes Indiz für eine solche Beschlussfassung, weil sie auch aufgrund der Gastmitgliedschaft der Beteiligten zu 2. im Diakonischen Werk er-folgen kann.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).
Nause Bock Neuendorf