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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:29.08.2016
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/24-2016
Rechtsgrundlage:MVG.K § 19
Vorinstanzen:Az.: 1 VR MVG 36/15 Schiedsstelle der Konföderation ev. Kirchen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke ev. Kirchen in Niedersachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V. - Beschluss vom 12. Februar 2016
Schlagworte:Arbeitsbefreiung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung für die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung
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Leitsatz:

1. Bei Lehrkräften ist die Arbeitsbefreiung für die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung regelmäßig auch durch angemessene Reduzierung der Regelunterrichtsverpflichtung umzuset-zen.
2. Eine anderweitige Arbeitsbefreiung ist zulässig, wenn die vertraglich geschuldete Lehr-tätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt wird. Die Lehrtätigkeit wird beeinträchtigt, wenn die Dienststelle überwiegend nur ungebundene Arbeitszeiten, die der Unterrichtsvorbereitung dienen, für die Freistellung heranzieht.

Tenor:

Unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen wird auf die Beschwerde der Mitar-beitervertretung der Beschluss der Schiedsstelle der Konföderation evangelischer Kir-chen in Niedersachsen und der Diakonischen Werke evangelischer Kirchen in Nieder-sachsen, Oldenburg und Schaumburg-Lippe - Kammer Diakonisches Werk ev. Kirchen in Niedersachsen e.V. - vom 12. Februar 2016 - 1 VR MVG 36/15 - teilweise abgeän-dert:
Es wird festgestellt, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, der Mitarbeiterin D Ar-beitsbefreiung in Höhe von 2,0 Unterrichtsstunden wöchentlich zu gewähren.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beteiligte zu 3. für ihre Tätigkeit als Mitglied der Mitarbeitervertretung von ihrer Arbeit im Umfang von 2,4 Unterrichtsstunden wöchentlich befreit werden muss.
Die Dienststelle betreibt Einrichtungen der Jugend- und Behindertenhilfe sowie Förderschulen und Ausbildungsstätten. Die Beteiligte zu 3. ist bei der Beteiligten zu 2. als Lehrerin beschäftigt und Mitglied der Mitarbeitervertretung in der Einrichtung. Sie ist Schriftführerin der Mitarbei-tervertretung und nimmt regelmäßig an den Sitzungen der Mitarbeitervertretung donnerstags von 13.30 Uhr bis 16.30 Uhr teil und erstellt anschließend das Protokoll. Für die Vorbereitung der Sitzungen benötigt sie im Durchschnitt weitere 15 bis 20 Minuten.
Die Beteiligte zu 3. hat bei einer vergüteten Arbeitszeit von 26,44 Stunden wöchentlich eine Unterrichtsverpflichtung von 16,715 Stunden. Ihre Arbeitsverpflichtung gliedert sich in reine Unterrichtsstunden, weitere gebundene Zeiten etwa durch Besprechungen und zusätzliche Arbeiten und ungebundene Zeiten, die sie für die Vor- und Nachbereitung der Unterrichts-stunden benötigt.
Die Beteiligte zu 3. ist nach Übernahme der Aufgabe in der Mitarbeitervertretung von einer Klassenlehrertätigkeit entbunden worden, die sie zuvor gemeinsam mit einer weiteren Kollegin wahrgenommen hatte sowie von allen weiteren außerunterrichtlichen Aufgaben. Die Unter-richtsverpflichtung hat die Beteiligte zu 2. nicht reduziert.
Die Mitarbeitervertretung hat die Auffassung vertreten, die Beteiligte zu 3. sei aufgrund des Aufwandes für die Protokollerstellung bei Sitzungen der Mitarbeitervertretung einschließlich der Vor- und Nachbereitungszeit insgesamt im Umfang von 3,75 Stunden wöchentlich von der Arbeitsleitung freizustellen, dies entspräche bei dem von der Beteiligten zu 2. angesetzten Faktor von 1,58 im Verhältnis zwischen Unterrichtsverpflichtung und gesamter wöchentlicher Arbeitszeit einer Freistellung von 2,4 Unterrichtsstunden. Die Freistellung sei anteilig sowohl auf unterrichtsgebundene, weitere gebundene und nicht gebundenen Zeiten zu verteilen, eine Freistellung nur in weiteren gebundenen Zeiten bzw. nicht gebundenen Zeiten stelle eine Be-nachteiligung dar, da die Beteiligte zu 3. für ihre Tätigkeit als Lehrkraft weiterhin den Kontakt zu Eltern, etwa über Infoabende, suchen und sich auch auf den Unterricht angemessen vor-bereiten müsse.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt
festzustellen, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, Frau D Arbeitsbefreiung in Höhe von 2,4 Unterrichtsstunden wöchentlich zu gewähren.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen,
und die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber bestimme, in welchen Bereichen die Entlastung erfolge. Er könne auch eine Entlastung ausschließlich bei sonstigen gebundenen Zeiten bzw. bei ungebundenen Zeiten anweisen, etwaige Qualitätsdefizite in Bezug auf die Vorbereitung des Unterrichts seien in Kauf zu nehmen.
Die Schiedsstelle hat den Antrag abgewiesen und die Auffassung vertreten, das Mitglied der Mitarbeitervertretung habe grundsätzlich nach § 19 Abs. 2 Satz 2 MVG.K einen Anspruch auf Entlastung; solle diese Entlastung auch im Bereich der Unterrichtsverpflichtung durchgeführt werden, trage die Mitarbeitervertretung aber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Entlastung gerade auch in diesem Bereich nötig sei. Der Nachweis sei nicht geglückt.
Mit der frist- und formgerecht eingeleiteten und begründeten Beschwerde verfolgt die Antrag-stellerin ihr Antragsbegehren in der Beschwerdeinstanz weiter. Die in der Beschwerdeinstanz am Verfahren Beteiligte zu 3. hat sich der Beschwerde angeschlossen. Der Kirchengerichts-hof der EKD hat die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung ange-nommen.
II. Die statthafte, frist- und formgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Beschwerde ist weitgehend begründet. Die Beteiligte zu 3. hat nach § 19 Abs. 2 MVG.K einen Anspruch darauf, im Umfang von 2,0 Unterrichtsstunden wöchentlich von ihrer Regelunter-richtsverpflichtung freigestellt zu werden, um die Aufgaben als Mitglied der Mitarbeitervertre-tung wahrzunehmen.
1. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 MVG.K ist die für die Tätigkeit notwendige Zeit den Mitgliedern der Mitarbeitervertretung ohne Minderung ihrer Bezüge innerhalb der allgemeinen Arbeitszeit zu gewähren. Ist einem Mitglied der Mitarbeitervertretung die volle Ausübung seines Amtes in der Regel innerhalb der Arbeitszeit nicht möglich, so ist es auf Antrag von den ihm obliegen-den Aufgaben in angemessenem Umfang zu entlasten. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 MVG.K dür-fen Mitglieder der Mitarbeitervertretung wegen ihrer Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung nicht benachteiligt werden.
2. Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber den Inhalt der Arbeitsleistung nach billi-gem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht anderweitig, unter anderem durch gesetzliche Vorschriften, festgelegt sind. Dieser Grundgedanke gilt auch für die Vornahme einer Entlastung nach § 19 Abs. 2 Satz 2 MVG.K. Der Arbeitgeber legt grund-sätzlich fest, von welchen Aufgaben das Mitglied der MAV zu entlasten ist, § 19 Abs. 2 Satz 2 MVG.K beschränkt die Ausübung des Ermessens nur insoweit, als das Mitglied der Mitarbei-tervertretung von "ihm obliegenden Aufgaben" "in angemessenem Umfang" zu entlasten ist. Bei der Ausübung des Ermessens ist aber weiter zu berücksichtigen, dass Mitglieder der Mit-arbeitervertretung nach § 19 Abs. 1 Satz 2 MVG.K wegen der Wahrnehmung ihre Aufgaben nicht benachteiligt werden dürfen. Damit muss die zugewiesene Entlastung sowohl die behin-derungsfreie Wahrnehmung der Tätigkeit als Mitglied der Mitarbeitervertretung gewährleisten und darf keine Benachteiligung bei der Ausübung der eigentlich vertraglich geschuldeten Tä-tigkeit verursachen. Im Zweifel hat das Kirchengericht zu entscheiden (vgl. § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB).
3. Daran gemessen liegt in der Entscheidung der Dienststellenleitung, eine Entlastung aus-schließlich im Bereich der sonstigen gebundenen und der nicht gebundenen Stunden zu ge-währen, ein Ermessensfehlgebrauch.
a) Es ist zwar nicht zu beanstanden, dass die Dienststellenleitung die Beteiligte zu 3. von den Aufgaben einer Klassenlehrerin freigestellt hat, auf eine solche Zusatzfunktion hat eine Lehrkraft keinen Anspruch. In Höhe etwa einer halben Wochenstunde ist der Beteiligten zu 3. deshalb wirksam Entlastung erteilt worden.
b) Die weitergehende Entlastung nur von sonstigen gebundenen und nicht gebundenen Aufgaben ist aber ermessenwidrig. Grundsätzlich hat eine Entlastung so zu erfolgen, dass sie den Charakter der vertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht beeinträchtigt, deshalb ist bei Lehr-kräften die angemessene Freistellung regelmäßig auch durch angemessene Reduzierung der Regelunterrichtsverpflichtung umzusetzen (Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 19 Rn. 6; Baumann-Czichon/Gathmann/Germer, Praxiskommentar zum MVG.EKD, § 19 Rn. 17). Entsprechen wie vorliegend 1 Unterrichtsstunde 1,58 wöchentlich geschuldeten Zeitstun-den, so ist rechnerisch bei 3,75 Zeitstunden MAV-Tätigkeit unter Berücksichtigung der wirk-samen Entlastung wegen des Entzugs der Klassenlehrertätigkeit noch eine Entlastung von 2 Unterrichtsstunden wöchentlich erforderlich.
c) Eine anderweitige Verteilung der Entlastung wäre nur zulässig, wenn die vertraglich ge-schuldete Lehrtätigkeit dadurch nicht beeinträchtigt würde. Dies ist aber der Fall, wenn die Dienststelle überwiegend nur ungebundene Arbeitszeiten, die grundsätzlich der Unterrichts-vorbereitung dienen, für die Freistellung heranzieht. Die Beteiligte zu 3. hat einen Anspruch darauf, ihren Unterricht genauso vorbereiten zu können wie ihre Kolleginnen und Kollegen auch. Sie muss nicht deshalb qualitativ geminderten Unterricht geben, weil sie Vorbereitungs-zeit für die Arbeit in der Mitarbeitervertretung einzusetzen hat. Dies verstößt gegen § 19 Abs. 1 Satz 2 MVG.K.
d) Soweit die Beteiligte zu 2. auf weitere Entlastungen im Bereich der sonstigen gebunde-nen Arbeitsstunden verweist, ist ihr Vortrag unbehelflich. Projektgruppen, die nicht tagen, können keine Entlastung bewirken. Die Freistellung von Infoabenden und sonstigen Bespre-chungen benachteiligt - wie vorstehend beschrieben - die Beteiligte zu 3. bei der Wahrneh-mung ihrer Lehrtätigkeit.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG-EKD i.V.m. § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).