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Kirchengericht:Verwaltungssenat bei dem Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Urteil
Datum:29.11.2013
Aktenzeichen:0135/12-2012
Rechtsgrundlage:§ 59 BremPfDG
Vorinstanzen:Az.: G/BEK - 1/2011 Gericht der Bremischen Evangelischen Kirche Urteil vom 10. Mai 2012
Schlagworte:Pfarrer; Abberufung, Rechtsmissbrauch, Wiedertaufe, nicht gedeihliches Wirken, theologische Meinungsverschiedenheiten
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Leitsatz:

Die Abberufung eines Pfarrers aus seiner Pfarrstelle wegen nicht gedeihlichen Wirkens ist rechtswidrig, wenn sie auf den Antrag eines Kirchenvorstandes erfolgt, der mit seinem Verständnis der christlichen Lehre in entscheidenden Punkten dem Bekenntnis der Kirche widerspricht (hier: Wiedertaufe) und den Pfarrer deshalb ablehnt, weil dieser den Boden des Bekenntnisses der Kirche nicht verlassen will. In einem solchen Fall sind allein Maßnahmen gegen den Kirchenvorstand zulässig.

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Gerichts der Bremischen Evangelischen Kirche vom 10. Mai 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht der Bremischen Evangelischen Kirche zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I. Gegenstand des Rechtsstreits ist die Abberufung des Klägers aus einer Pfarrstelle.
Der Kläger nahm zum 1. September 2004 eine pfarramtliche Tätigkeit in der Pfarrstelle der beigeladenen Kirchengemeinde auf. Auf Antrag des Kirchenvorstands der Beigeladenen berief ihn der Kirchenausschuss der Beklagten mit Bescheid vom 26. Januar 2011 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung wegen nicht gedeihlichen Wirkens des Dienstes aus der Pfarrstelle ab. Widerspruch und Klage sind erfolglos geblieben. Mit seiner Revision erstrebt der Kläger die Änderung des vorinstanzlichen Urteils und die Aufhebung der Abberufungsentscheidung der Beklagten.
II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist fehlerhaft. Ob der Abberufungsbescheid der Beklagten in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, rechtmäßig oder rechtswidrig ist, kann der Senat mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Gerichts der Bremischen Evangelischen Kirche (im Folgenden: Gericht) nicht entscheiden. Die Sache ist deshalb gemäß § 52 Abs. 3 Satz 3 VwGG.EKD an das Gericht zurückzuverweisen.
1. Das Gericht hat die verfügte Maßnahme an § 59 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Dienstverhältnis der Pfarrerinnen und Pfarrer in der Bremischen Kirche (Pfarrergesetz) - BremPfDG - gemessen. Danach kann im Interesse des Auftrages der Kirche der Kirchenausschuss eine Pfarrerin oder einen Pfarrer aus der bisherigen Pfarrstelle oder gesamtkirchlichen Stelle abberufen, wenn eine gedeihliche Wahrnehmung des Dienstes in der Stelle nicht mehr gewährleistet ist, ohne dass der Grund in dem Verhalten der Pfarrerin oder des Pfarrers zu liegen braucht.
a) Zutreffend und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des ehemaligen Verwaltungsgerichtshofs der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (vgl. nur Urteil vom 18. April 2008 - VGH 12/06 - RsprB ABl. EKD 2009, 4 <5, 7>) hat das Gericht angenommen, dass ein gedeihliches Wirken des Pfarrers in seiner Pfarrstelle unter anderem nicht mehr gewährleistet, wenn sich eine Gemeinde derart entzweit hat, dass sie in gegnerische Gruppen zerfallen ist, deren eine sich außerstande sieht, den Dienst des Pfarrers anzunehmen, und die sich so seinem Wirken entzieht. Denn dann ist der Pfarrer außerstande, seinen Auftrag in der Gemeinde gegenüber allen Gemeindegliedern zu erfüllen, die sonst generell bereit sind, Seelsorge und Wortverkündung anzunehmen. Ein Pfarrer kann und muss es nicht allen Gemeindegliedern recht machen. Auch in einer christlichen Kirche sind sachliche Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten nicht zu vermeiden. Wenn sie gelegentlich zu Spannungen führen, ist das nur natürlich. Diese müssen der Pfarrer wie die Gemeinde ertragen. Die Grenzen, innerhalb derer ein gedeihliches Wirken in der Pfarrstelle noch möglich ist, werden jedoch überschritten, wenn eine nachhaltige, auf andere Weise nicht mehr zu behebende Störung im Verhältnis des Pfarrers nicht nur zu einzelnen Gemeindegliedern, sondern zu wesentlichen Teilen der Gemeinde oder zu einer nicht unbeträchtlichen Gruppe von Gemeindegliedern eingetreten ist.
Dass ein gedeihliches Wirken des Pfarrers in seiner Pfarrstelle nicht mehr gewährleistet erscheint, ist allerdings nicht schon stets dann anzunehmen, wenn die Mitglieder des Kirchenvorstands mehrheitlich oder gar einhellig eine weitere Zusammenarbeit für unmöglich halten. Andernfalls könnte eine Mehrheit des Kirchenvorstands einen ihr missliebigen Pfarrer gleichsam abwählen. Spannungen zwischen Pfarrer und Kirchenvorstand können sich auf diesen Personenkreis beschränken, der unmittelbar an der Leitung der Kirchengemeinde beteiligt ist. Sie lassen dann das Wirken des Pfarrers als Seelsorger und vorrangigen Träger der Wortverkündung im Verhältnis zu den übrigen Gemeindegliedern gänzlich unberührt. Der Kirchenvorstand verkörpert aber andererseits einen nicht unerheblichen Teil der Gemeinde. Nicht behebbare Spannungen zwischen dem Pfarrer und dem Kirchenvorstand oder einem Teil des Kirchenvorstands sind regelmäßig ein gewichtiges Indiz dafür, dass zumindest unterschwellig solche Spannungen über den engen Kreis der direkt Betroffenen hinaus die Gemeinde erfassen.
Das Gericht hat Tatsachen festgestellt, die die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass ein gedeihliches Wirken des Klägers in der Pfarrstelle nicht mehr gewährleistet ist. Das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Kirchenvorstand, der beim Kläger Defizite in der Mitarbeiterführung und im persönlichen Miteinander beklagt hatte (UA S. 2), ist unheilbar zerrüttet; ein im Winter 2010 begonnenes Mediationsverfahren ist nach zweimaligem Treffen vom Mediator wegen Aussichtslosigkeit beendet worden. Eine Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und dem Kirchenvorstand zum Wohle der Beigeladenen ist nicht möglich, weil die konstruktive Kommunikation abgebrochen und das Klima in der Gemeinde von Vorwürfen, Misstrauen und persönlicher Abneigung bestimmt ist. Die Feindschaften haben sich auch auf das Gemeindeleben ausgewirkt. Der Verwaltende Bauherr hat in einem am 8. Februar 2010 geführten Gespräch, auf das das Gericht Bezug nimmt (UA S. 11), unwidersprochen erklärt, dass Gemeindemitglieder nicht mehr zum Kläger in den Gottesdienst gehen wollen und Ehrenamtliche nicht mehr zu einer Zusammenarbeit mit dem Kläger bereit sind. Außerdem ist nach Dezember 2009 kein Abendmahl mehr gefeiert worden, weil sich die Vorsteher geweigert haben, dieses zusammen mit dem Kläger auszuteilen.
b) Das Gericht hat zutreffend erkannt, dass die Abberufung trotz Vorliegens der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 BremPfDG rechtswidrig ist, wenn sie rechtsmissbräuchlich erfolgt ist (vgl. VGH.UEK, Urteil vom 18. April 2008 - VGH 12/06 - a.a.O. <7>). Da ein Gemeindepfarrer nach § 59 Abs. 2 Satz 1 BremPfDG nur auf Antrag der Kirchengemeinde abberufen werden kann, ist die Abberufung rechtswidrig, wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Dem angefochtenen Urteil lässt sich entnehmen, dass das Gericht eine Abberufung für rechtsmissbräuchlich hält, wenn sie auf den Antrag eines Kirchenvorstands erfolgt, dem nur vordergründig eine Zerrüttung wegen fehlenden gegenseitigen Vertrauens, in Wahrheit aber unüberbrückbare theologische Meinungsverschiedenheiten zwischen Pfarrer und Kirchenvorstand zugrunde liegen (UA S. 11, 12). Dieser rechtliche Ansatz ist zweifelsohne für den Fall richtig, dass der Kirchenvorstand mit seinem Verständnis der christlichen Lehre in entscheidenden Punkten dem Bekenntnis der Kirche widerspricht und den Pfarrer deshalb ablehnt, weil dieser den Boden des Bekenntnisses der Kirche nicht verlassen will. In einem solchen Fall sind allein Maßnahmen gegen den Kirchenvorstand zulässig.
Aus den Verwaltungsakten, deren Inhalt das Gericht im Wege der Bezugnahme zum Gegenstand des Tatbestandes seines Urteils gemacht hat (UA S. 6), ergibt sich, dass eine Mehrheit der Mitglieder des Kirchenvorstands im Gegensatz zum Kläger ein bekenntniswidriges Taufverständnis hat(te). Pastor D, den der Kirchenausschuss der Beklagten gemeinsam mit Herrn E von der Kirchenkanzlei mit der Sachverhaltsermittlung beauftragt hat, hat in einem Post Scriptum zum Abschlussbericht zu Protokoll gegeben, dass der Vorstand der Beigeladenen eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Beklagten als Art Bekenntnis vor sich hertrage. Es sei eindeutig festzustellen, dass zumindest einige der Vorstandsmitglieder für sich selbst den Weg der Wiedertaufe gewählt hätten und damit gegen das evangelische Grundverständnis verstießen, wonach Wiedertaufen unreformatorisch und unbiblisch seien.
Der Kläger hat bereits vor Einleitung des Abberufungsverfahrens geltend gemacht, dass sich der Konflikt zwischen ihm und dem Kirchenvorstand vor allem an dem unterschiedlichen Taufverständnis und Bekehrungsverständnis entzündet habe. Im Abberufungsverfahren hat er durch seinen damaligen Bevollmächtigten vortragen lassen, dass sich die Mitglieder des Kirchenvorstands, die seine Abberufung betrieben, jedenfalls in der Frage der Taufe nicht in Überstimmung mit der Lehre der Bremischen Evangelischen Kirche befänden. Die Vorstandsmitglieder spielten den theologischen Konflikt allerdings herunter und erweckten den Eindruck, als handele es sich bei ihm nicht um den bestimmenden Faktor des Abberufungsantrags. Dieser Eindruck sei falsch. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass die Hauptprobleme an den Rand gestellt werden sollten, um ein ungedeihliches Wirken im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 BremPfDG zu "konstruieren."
Das Gericht ist zu der Einschätzung gelangt, dass nicht die theologischen Differenzen als Grund für die Abberufung im Vordergrund gestanden hätten, sondern der Zerrüttungstatbestand in dem zerstörten Vertrauensverhältnis begründet liege (UA S. 11). Es zitiert einen Pastor i.R. mit der Aussage, das Hauptproblem sei das zerbrochene Vertrauensverhältnis, theologisch hätte man Brücken bauen können (UA S. 10). Zu Recht rügt der Kläger, dass das Gericht den Sachverhalt nicht ausreichend geklärt und wesentliches, ihm günstiges Vorbringen nicht berücksichtigt hat. Das vorinstanzliche Urteil verletzt daher § 28 Abs. 1 Satz 1 und § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGG.EKD.
In den Protokollen, die aus Anlass der Befragung mehrerer Auskunftspersonen durch die Beauftragten der Kirchenleitung erstellt worden sind, ist die vom Gericht wiedergegebene Aussage des Pastors i.R. belegt. Sie wird von anderen Befragten bestätigt. Nicht gewürdigt werden im angefochtenen Urteil jedoch die Äußerungen des Kantors vom 8. November 2010 und eines weiteren Pastors i.R. vom 5. November 2010, die für die Darstellung des Klägers sprechen. Der Kantor hat den Konflikt zwischen dem Kläger und dem Gemeindevorstand in Fragen der Taufe und des Abendmahls bestätigt und ausgesagt, der Gemeindevorstand habe die theologischen Unterschiede jedoch nicht zur Begründung seines Antrags auf Abberufung des Klägers angeführt, weil er sich im Klaren gewesen sei, dass der Kirchenausschuss den Kläger nicht wegen dessen theologischen, mit der Präambel der Verfassung der Bremischen Evangelischen Kirche vereinbaren Auffassungen abberufen werde. Für den Gemeindevorstand sei eine theologische Argumentation gegenüber dem Kirchenausschuss nicht Erfolg versprechend, weil der Kirchenausschuss - anders als bei den theologischen Auffassungen des Klägers - bei den theologischen Ansichten des Gemeindevorstands Zweifel an deren Vereinbarkeit mit der Präambel der Verfassung der Bremischen Kirche hätte. Da eine theologische Begründung des Abberufungsantrags somit nicht aussichtsreich gewesen sei, habe der Gemeindevorstand den Antrag auf Abberufung des Klägers mit Problemen im menschlichen Miteinander begründet. Der Pastor i.R. sieht den eigentlichen Grund für die Konflikte in der beigeladenen Gemeinde in dem Konflikt betreffend die Tauffrage. Die von dem Gemeindevorstand in den Vordergrund gerückten Probleme in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitern habe es zwar gegeben, sie hätten jedoch nicht die zentrale Rolle gespielt. Sollten die Behauptungen der Herren zutreffen, wären der Abberufungsantrag rechtsmissbräuchlich und die Abberufung rechtswidrig, weil der wahre - eine Abberufung nicht rechtfertigende - Grund verschleiert und der angegebene - eine Abberufung erlaubende - Grund vorgeschoben wäre. Da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, den Wahrheitsgehalt der divergierenden Aussagen - ggf. nach Vernehmung der Auskunftspersonen als Zeugen - zu prüfen und die Aussagen zu würdigen, ist die Zurückverweisung der Sache an das Gericht geboten.
2. Der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht bedürfte es nicht, wenn der Abberufungsbescheid aus anderen Gründen als wegen eines möglicherweise rechtsmissbräuchlichen Zugriffs auf § 59 Abs. 1 Satz 1 BremPfDG aufgehoben werden müsste. Das ist jedoch nicht der Fall.
a) Zu Unrecht macht der Kläger geltend, dass § 59 Abs. 1 Satz 1 BremPfDG "aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und den in der Vorschrift latent ruhenden Unrechtsmerkmalen" nichtig sei und deshalb als Rechtsgrundlage für seine Abberufung nicht herangezogen werden könne. Das Gericht hat sich mit der Frage der Wirksamkeit des § 59 Abs. 1 Satz 1 BremPfDG ausführlich auseinandergesetzt (UA S. 7 bis 9) und seinen Befund, dass die Vorschrift mit höherrangigem Recht vereinbar ist, im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs der UEK (Urteil vom 1. März 2002 - VGH 6/99 - RsprB ABl. EKD 203, 7 <9>) und des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - BVerfGE 102, 370 <392>) begründet. Dem ist nichts hinzuzufügen.
b) Die Abberufung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat im Widerspruchsbescheid anerkannt, dass die Abberufung des Klägers erheblich in dessen persönliche Lebenssituation eingreift und damit in Rechnung gestellt, dass dem Kläger und seiner Familie ein finanzieller und sozialer Abstieg droht. Sie hat die Folgen der Abberufung für den Kläger auch zutreffend ("erheblich") und nicht zu gering gewichtet, mutet sie dem Kläger aber zu, weil mildere Mittel angesichts der Massivität des innergemeindlichen Konflikts nicht erfolgversprechend seien. Das lässt keinen Ermessensfehlgebrauch (vgl. § 41 Satz 1 VwGG.EKD) erkennen.
Beschluss
Der Gegenstandswert wird für das Revisionsverfahren auf 57 781 € festgesetzt.