.
Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:03.06.2013
Aktenzeichen:KGH.EKD II-0124/U24-12
Rechtsgrundlage:§ 19 Abs. 3 MVG.EKD; § 37 BetrVG
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kammer - in Münster (Westf.)
Schlagworte:Übernahme der Kosten eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung für die Teilnahme an einer Fachtagung
#

Leitsatz:

1. Der Mitarbeitervertretung steht im Rahmen von § 19 Abs. 3 MVG.EKD ein Beurtei-lungsspielraum im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Teilnahme ihres Mitglieds an ei-nem Lehrgang oder einer Tagung zu.
2. Der Beschluss zur Teilnahme eines Mitglieds an einer kirchenrechtlichen Fachtagung, in der neben unmittelbar für die konkrete Tätigkeit erforderlichen Kenntnissen auch solche von kirchenarbeitsrechtlichen Grundlagen vermittelt werden, hält sich im Rah-men dieses Beurteilungsspielraums.

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 2. Kam-mer - in Münster (Westf.) vom 18. Juli 2012 - 2 M 81/11 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, dem ehemaligen Mitglied der Mitarbeitervertretung D
1. die wegen der Teilnahme an der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 17. und 18. November 2011 versäumte Arbeitszeit gutzuschreiben,
2. die durch die Teilnahme an der Fachtagung entstandenen Kosten in Höhe von € 500,- zu erstatten.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Dienststelle, die Kosten der Teilnahme des ehemaligen Mitglieds der Mitarbeitervertretung D an einer Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 17. und 18. November 2011 zu übernehmen. Die Fachtagung stand unter dem Generaltitel “Kirchliches Arbeitsrecht in der Krise, wie kommt man zu gerechten Arbeitsbedingungen?“ Sie beinhaltete Vorträge zu den The-men “Darf die Kirche zur Wahrung ihrer Rechte die Grundrechte verdrängen?“, “Ge-währleistung der Arbeitnehmer-Grundrechte im sogenannten Dritten Weg“, “3. Weg oder 2. Weg - welcher Weg führt zum Ziel?“ sowie „Streikrecht als Grundrechtsverwirk-lichung“. In Arbeits- und Vertiefungsgruppen wurden die Themen “Handlungsmöglich-keiten der MAV bei kirchenrechtswidriger Beschäftigung“ (z.B. Leiharbeit), “Auswirkung des europäischen Rechts im Hinblick auf Mitbestimmung (Kann ich als MAV damit eine Zustimmung verweigern?)“, “Kirchliche Prägung diakonischer Einrichtungen“, “Hand-lungsmöglichkeiten der MAV nach dem sogenannten Dritten Weg“ und “Welche Unter-nehmensmitbestimmungsrechte hat die MAV?“ behandelt. Eine Podiumsdiskussion von Wissenschaftlern, Vertretern des Diakonischen Werkes sowie Politikern schloss die Tagung ab.
Die Dienststelle beschäftigt ca. 4.000 Mitarbeitende. Nach der Tarifpolitik der sie tra-genden Einrichtung werden einzelne Gesellschaften außerhalb der diakonischen Werke geführt; dort kommen andere Vergütungsstrukturen als solche des Dritten Wegs zur Anwendung. Es bestehen inhaltlich abweichende Thesenpapiere des Vorstands sowie der Interessenvertretungen in den Unternehmen der die Dienststelle tragenden Einrich-tung zur Tarifpolitik und zur Unternehmens- und Tarifentwicklung.
Die Mitarbeitervertretung beantragte im Oktober 2011 vergeblich die Kostenübernahme und Freistellung ihres Mitglieds. Sie hat die Auffassung vertreten, die Teilnahme an der Fachtagung habe erforderliche Kenntnisse i.S.v. § 19 Abs. 3 MVG.EKD vermittelt und zuletzt beantragt,
festzustellen, dass die Dienststellenleitung verpflichtet ist, dem ehemaligen Mit-glied der Mitarbeitervertretung D die wegen der Teilnahme an der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht am 17. und 18. November 2011 versäumte Arbeits-zeit gutzuschreiben sowie weiter festzustellen, dass die Dienststellenleitung ver-pflichtet ist, die durch die Teilnahme an der Fachtagung entstandenen Kosten in Höhe von € 500,- zu erstatten.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Es seien keine erforderlichen Kenntnisse für die Arbeit in der Mitarbeitervertretung vermittelt worden. Die behandelten Themen würden nicht der Regelung der Dienststel-lenleitung unterliegen und könnten keine Beteiligungsrechte auslösen.
Die Schlichtungsstelle hat den Antrag zurückgewiesen. Mit der vom Kirchengerichtshof der EKD angenommenen Beschwerde verfolgt die Mitarbeitervertretung ihr Begehren weiter. Die Dienststellenleitung beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Schiedsstelle hat den Antrag zu Unrecht zu-rückgewiesen.
1. Nach § 30 Abs. 2 MVG.EKD trägt die Dienststelle die durch die Tätigkeit der Mit-arbeitervertretung entstehenden erforderlichen Kosten. Dies schließt die durch die Teilnahme an einer Schulung entstehenden Aufwendungen eines Mitglieds der Mitar-beitervertretung wie Fahrt- und Übernachtungskosten sowie Tagungsgebühren mit ein. Die Mitarbeitervertretung ist befugt, im eigenen Namen Freistellungs- oder Erstat-tungsansprüche von Mitgliedern der Mitarbeitervertretung mit dem Ziel der Freistellung des Mitglieds von der entsprechenden Verbindlichkeit bzw. der Zahlung der Geldschuld an diese Mitglieder geltend zu machen (vgl. BAG, Beschluss vom 15. Januar 1992 - 7 ABR 23/90, AP Nr. 41 zu § 40 BetrVG 1972; 28. Juni 1995 - 7 ABR 47/94, AP Nr. 47 zu § 40 BetrVG 1972, Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG § 40 Rn. 141).
2. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten setzt voraus, dass für die Tätigkeit in der Mitarbeitervertretung erforderliche Kenntnisse i.S.v. § 19 Abs. 3 MVG.EKD vermit-telt werden. Welche Kenntnisse erforderlich sind und ob solche Kenntnisse durch die Teilnahme an einer Tagung oder an einem Lehrgang vermittelt werden, entscheidet die Mitarbeitervertretung, ihr steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu (KGH.EKD, Be-schluss vom 29. Oktober 2012 - II-0124/T58-11, www.kirchenrecht-ekd.de; vgl. auch BAG, Beschluss vom 7. Juni 1989 - Az. 7 ABR 26/88 - AP Nr. 67 zu § 37 BetrVG 1972, Fitting, Engels, Schmidt, Trebinger, Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz § 37 Rn. 174 zu § 37 Abs. 6 BetrVG). Dieser Beurteilungsspielraum ist notwendig, da nur das Gremium der Mitarbeitervertretung darüber befinden kann, welche Kenntnisse für die konkrete Arbeit der Mitarbeitervertretung notwendig sind. Dies gilt insbesondere, weil § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD den Schulungsanspruch auf vier Wochen pro Amtsperio-de beschränkt; eine differenzierende Regelung entsprechend § 37 Abs. 6 und 7 BetrVG kennt das Mitarbeitervertretungsgesetz der EKD nicht. Steht nur ein beschränktes Schulungsvolumen zur Verfügung, so bedarf es eines ausreichend weiten Beurteilungsspielraums, um durch differenzierte Schulungs- und Tagungsteilnahme ihrer Mitglieder den insgesamt erforderlichen Kenntnisstand in der Mitarbeitervertretung sicherstellen zu können.
3. Dieser Beurteilungsspielraum schließt ein, dass auch die Teilnahme an Tagungen im Sinne von § 19 Abs. 3 MVG.EKD erforderlich sein kann, für die es eine “konkrete Erforderlichkeit“, etwa i.S.v. § 37 Abs. 6 BetrVG, nicht gibt. Die Tätigkeit einer Mitar-beitervertretung besteht nicht ausschließlich aus konkreten einzelfallbezogenen Betei-ligungsfragen. Eine sinnvoll koordinierte und strukturierte Tätigkeit einer Mitarbeiterver-tretung setzt voraus, dass auch Kenntnisse des arbeitsrechtlichen Umfeldes vorhanden sind, in dem die Mitbestimmung gelebt wird. Dies schließt die Teilnahme an Tagungen ein, in denen Kenntnisse über arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen vermittelt werden, in denen sich die tägliche Arbeit der Mitarbeitervertretung vollzieht. Die von der Dienststellenleitung vertretene ausschließlich auf konkrete Beteiligungstatbestände reduzierte Auslegung des Begriffs der Erforderlichkeit greift deshalb zu kurz.
4. Vorliegend hat sich die Entscheidung der Mitarbeitervertretung über die Erforder-lichkeit der Teilnahme eines Mitglieds an der Fachtagung zum kirchlichen Arbeitsrecht im Rahmen dieses Beurteilungsspielraums gehalten. Dies hat die Vorinstanz verkannt. In den Arbeits- und Vertiefungsgruppen sind Kenntnisse vermittelt worden, die für die tägliche Arbeit der Mitarbeitervertretung bereits unmittelbar erforderlich sind und kon-krete Mitbestimmungsfragen betreffen. In den Fachvorträgen wurden Fragen der Reichweite von Grundrechten in kirchlichen Einrichtungen behandelt, auch insoweit hält sich die Beurteilung der Mitarbeitervertretung im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Teilnahme im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums (zu den Grenzen vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 29. Oktober 2012 - II-0124/T58-11, a.a.O.). Die Mitarbeitervertretung hat deshalb aus § 30 Abs. 2 MVG.EKD einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Tagungsteilnahme ihres Mitglieds.
5. Auch der weitere Sachantrag ist begründet. Bei gebotener Auslegung betrifft er im Wesentlichen die mitarbeitervertretungsrechtliche Frage der Erforderlichkeit der Teilnahme an der Fachtagung und kann deshalb im vorliegenden Verfahren geltend gemacht werden. Nach § 19 Abs. 3 Satz 1 MVG.EKD besteht ein Anspruch auf Ar-beitsbefreiung ohne Minderung der Bezüge; diesem Anspruch ist durch Gutschrift der aufgewendeten Arbeitszeit zu entsprechen.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).