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Kirchengericht:Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:02.02.1998
Aktenzeichen:VerwG.EKD 0124/B22-97
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 42 Buchst. a), § 41, § 38, § 63 Abs. 1 Buchst. a), VGG.EKD §§ 13 Abs. 2, 16 , VwGO § 101 Abs. 2, BRAGO § 8 Abs. 2
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V, Az.: 1/97 HH; Fundstellen: Neue Zeitung für Arbeitsrecht 19/98 S. 1076; Rechtsprechungsbeilage zum Amtsblatt der EKD 1999 S. 22; Die Mitarbeitervertretung 3/98 S. 133
Schlagworte:Mitbestimmung und Teilzeitarbeitsverhältnis
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Leitsatz:

Die Umwandlung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis ist als Einstellung im Sinne des § 42 Buchst. a) MVG.EKD zu werten und unterliegt daher der eingeschränkten Mitbestimmung durch die Mitarbeitervertretung. Dagegen ist die einfache Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit eines oder einer Teilzeitbeschäftigten auf weniger als die volle wöchentliche Arbeitszeit nicht mitbestimmungspflichtig (im Anschluß an BAG B. v. 16. Juli 1991, BAGE 68, 155, 159).

Tenor:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Schlichtungsstelle des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. vom 19. September 1997 - AZ 1/97 HH - wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 6.000,- (sechstausend) DM.

Gründe:

I. Die Beteiligten streiten über ein Beteiligungsrecht der Antragstellerin im Rahmen der eingeschränkten Mitbestimmung.
Die Antragsgegnerin hat Anfang Januar 1997 die wöchentliche Arbeitszeit der mit 19,25 Wochenstunden teilzeitbeschäftigten Mitarbeiterin Frau D zur vorübergehenden Krankheitsvertretung, aber ohne Veränderung des Tätigkeitsbereichs für die Dauer von etwa neun Wochen um zehn Wochenstunden erhöht. Die Antragstellerin sieht hierin einen Fall der Einstellung (§ 42 Buchst. a MVG) und macht geltend, die Antragsgegnerin habe ihr Mitbestimmungsrecht verletzt. Die Antragstellerin hat die Schlichtungsstelle angerufen und beantragt
1. festzustellen, daß die befristete Erhöhung der abzuleistenden Arbeitszeit gemäß §§ 42 Buchst. a), 41 Abs. 1, 41 Abs. 3 MVG.EKD der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegt;
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, es zu unterlassen, Verlängerungen von Arbeitszeiten von Teilzeitkräften vorzunehmen, solange nicht die Zustimmung der MAV eingeholt ist und im Fall der Verweigerung die fehlende Zustimmung durch die Schlichtungsstelle ersetzt ist.
Die Antragsgegnerin hat um Zurückweisung des Antrags nachgesucht. Sie hat geltend gemacht, ihre Maßnahme habe dem Schutz der Dienstnehmer und der Sicherung des Fortbestandes der Arbeit gedient. Sie habe sich für die Mitarbeiterin D entschieden, weil diese die Vertretungsstunden unmittelbar habe übernehmen können.
Die Schlichtungsstelle hat die Anträge der Mitarbeitervertretung durch Beschluß vom 19. September 1997 zurückgewiesen und dazu im wesentlichen ausgeführt: Die Einstellung, nämlich die Begründung eines Anstellungsverhältnisses, die Eingliederung und die Arbeitsaufnahme, unterliege der Mitbestimmung nach §§ 42 a, 41 Abs. 1, 41 Abs. 3 MVG. Auch die Aufstockung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses zu einem Vollzeitarbeitsverhältnis sei als Einstellung in diesem Sinne zu werten. Vorliegend sei jedoch ein Teilzeitarbeitsverhältnis befristet erweitert worden durch Erhöhung des Wochenstundensolls, ohne auch nur annähernd ein Vollzeitarbeitsverhältnis zu erreichen und ohne den Tätigkeitsinhalt der betreffenden Mitarbeiterin zu verändern. Die Aufstockung bleibe vielmehr im Bereich der Teilzeittätigkeit. Auch zweckorientierte Gründe erfaßten den Fall nicht. Weder sei für die Mitarbeitervertretung eine völlig neue Auswahlsituation entstanden, noch aber seien der Mitarbeiterin D neue, andersartige Tätigkeiten übertragen worden. Zudem habe keine andere geeignete Mitarbeiterin zur Vertretung zur Verfügung gestanden.
Gegen den ihr am 7. Oktober 1997 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin durch Anwaltsschriftsatz vom 7. November 1997, bei Gericht eingegangen noch am selben Tage, Beschwerde eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin trägt vor: Entgegen der Auffassung der Schlichtungsstelle liege bei einer Verlängerung der Arbeitszeit von zehn Stunden in der Woche eine neue Auswahlsituation für die Mitarbeitervertretung vor, die auch der Mitbeurteilung der Mitarbeitervertretung im Rahmen des § 42 Buchst. a) MVG unterliege. Das Mitbeurteilungsrecht umfasse auch die Frage, ob gemäß § 42 Buchst. a) MVG ein Eingliederungsfall vorliege oder dieser wegen einer lediglich kurzfristigen und unbedeutenden Stundenerhöhung zu verneinen sei. Andernfalls stehe es im Belieben der Einrichtungsleitung, auch über die Frage der Einstellung mitbestimmungsfrei zu entscheiden. Die Folge wäre dann, daß die Mitarbeitervertretung keinerlei Möglichkeit habe, ihre Rechte gemäß § 41 Abs. 1 Buchst. a bis c) MVG auszuüben.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin hat den Antrag angekündigt
1. den Beschluß der Schlichtungsstelle des Nordelbischen Diakonischen Werkes e.V. vom 19. September 1997 - 1/97 HH - aufzuheben und
2. festzustellen, daß die befristete Erhöhung der abzuleistenden Arbeitszeit der Mitarbeiterin D gemäß §§ 42 Buchst. a), 41 Abs. 1, 41 Abs. 3, 38 MVG.EKD der eingeschränkten Mitbestimmung unterliegt;
sowie
die Antragsgegnerin zu verpflichten, es zu unterlassen, Verlängerungen von Arbeitszeiten von Teilzeitkräften vorzunehmen, solange nicht die Zustimmung der MAV eingeholt ist und im Fall der Verweigerung oder des Scheiterns einer Erörterung die fehlende Zustimmung durch die Schlichtungsstelle ersetzt ist.
Die Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin hat den Antrag angekündigt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen.
Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten, insbesondere wegen aller Einzelheiten, wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II. Die Beschwerde ist ansich statthaft (§ 63 Abs. 1 Buchst. a) MVG.EKD), sie ist auch frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig. In der Sache konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.
Nach § 42 Buchst. a) MVG.EKD hat die Mitarbeitervertretung ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht bei der Einstellung (und nach Buchst. g) auch bei der Versetzung). Einstellung ist die (im Regelfall aufgrund Vertrages erfolgte) Arbeitsaufnahme an einem bestimmten Arbeitsplatz. Der Begriff der Einstellung ist durch die Rechtsprechung erheblich erweitert worden. Diese betont den Normzweck der einschlägigen gesetzlichen Regelung, den Schutz der bereits im Betrieb Beschäftigten durch Mitsprache der Arbeitnehmervertretung bei der personellen Zusammensetzung des Arbeitsverbandes zu gewährleisten (vgl. Fit-ting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 99 Rn 10, 10a mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur).
So wird ein Mitwirkungsrecht anerkannt bei Verlängerung eines befristeten Arbeitsverhältnisses, bei einer Beschäftigung über die vertraglich vereinbarte oder tarifliche Arbeitszeit hinaus (Fitting u.a., aaO, Rn 13 m.w.N.), bei Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, bei erheblicher Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist (BAG B. v. 16. Juli 1991, BAGE 68, 155, 158 = NZA 92, 180), bei Umwandlung eines Halbzeitarbeitsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis, weil gegenüber der Ersteinstellung als Halbzeitkraft eine völlig neue Auswahlsituation entstanden sein kann (BVerwG B. v. 2. Juni 1993 = PersV 94, 127; vgl. auch OVG Hamburg B. v. 5. April 1982 = PersV 84, 246).
Mit Hinweis auf die letztgenannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird in der Literatur ein Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung auch dann bejaht, wenn eine Aufstockung der Teilarbeitszeit erfolgt, ohne daß eine Vollbeschäftigung erreicht wird, sofern es sich nicht nur um eine unerhebliche Erhöhung der Arbeitszeit handelt (so Baumann-Czichon/Germer, MVG.EKD, 1997, § 42 Rn 13; vgl. ferner Kittner in Däubler/Kittner/Klebe (Hrsg.), BetrVG, 5. Aufl., § 99 Rn 42a, Rn 103). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.
Einmal läßt sich keine überzeugende Grenze dafür ziehen, wann eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit (allgemein oder im Einzelfall) erheblich oder nur unerheblich ist. Jeder Versuch in dieser Richtung wäre daher wegen des Fehlens eines allgemeingültigen objektiven Maßstabs willkürlich und könnte nicht überzeugen. Vor allem aber würde das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung auf den Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit ausgedehnt, für die es grundsätzlich nicht besteht. Denn die Entscheidung über die wöchentliche Arbeitszeit wird getroffen durch kirchlichen Tarifvertrag oder durch Arbeitsrechtsregelung seitens der Arbeitsrechtlichen Kommission.
Mit dem Hinweis darauf, daß die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats entzogen ist, hat das Bundesarbeitsgericht das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei einer vom Arbeitgeber (im Einverständnis der betroffenen Arbeitnehmer) angeordneten Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit Teilzeitbeschäftigter von 60% auf 80% der tariflichen Wochenarbeitszeit mit näherer Begründung verneint (BAG B. v. 16. Juli 1991, BAGE 68, 155, 159 = NZA 92, 180). Durch die Anhebung der wöchentlichen Arbeitszeit verändert sich nicht der Inhalt der Tätigkeit und damit auch nicht das Gesamtbild der Tätigkeit. Das ist jedoch der Fall, wenn dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitsbereich zugewiesen wird oder wenn sich die Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, erheblich ändern (BAG aaO S. 158). Die Umwandlung eines Teilzeitarbeitsverhältnisses in ein Vollzeitarbeitsverhältnis verändert das Gesamtbild des Arbeitsverhältnisses, so daß für die Mitarbeitervertretung eine Auswahlsituation wie bei einer Neueinstellung gegeben ist. Das ist aber nicht in gleicher Weise der Fall, wenn - wie vorliegend - die wöchentliche Arbeitszeit einer Teilzeitbeschäftigten vorübergehend erhöht wird.
Es ist auch nicht zu befürchten, daß den kirchlichen und diakonischen Dienstgebern durch diese Entscheidung freie Hand gegeben wird, das Mitbestimmungsrecht der Mitarbeitervertretung zu umgehen. Zur Bekämpfung des Rechtsmißbrauchs steht hier - wie auch sonst - ein ausreichendes rechtliches Instrumentarium zur Verfügung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13 Abs. 2 VGG.EKD, die Entscheidung über den Gegenstandswert aus § 8 Abs. 2 BRAGO. Der Gegenstandswert ist in der Beschwerdeinstanz unverändert.
Diese Entscheidung konnte gemäß § 16 VGG.EKD in Verbindung mit § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen.