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Kirchengericht: | Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland |
Entscheidungsform: | Beschluss (rechtskräftig) |
Datum: | 19.05.2005 |
Aktenzeichen: | KGH.EKD II-0124/K40-04 |
Rechtsgrundlage: | MVG.EKD § 35 Abs. 3 Buchst. b; § 63a, AVR.DW.EKD § 1a , Satzung DW.Baden § 5, § 15 |
Vorinstanzen: | Kirchengerichtliche Schlichtungsstelle der Evangelischen Landeskirche in Baden, Az.: 2 Sch 62/2003, Fundstelle: Die Mitarbeitervertretung 2006, S. 89, Rechtsprechungsbeilage Amtsblatt der EKD 2006, S. 20 |
Schlagworte: | Beschwerde wegen Wertfestsetzung |
Leitsatz:
1. Die Mitarbeitervertretung darf mit Rücksicht darauf, dass sie nach § 35 Abs. 3 Buchst. b MVG.EKD dafür einzutreten hat, dass auch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, klären lassen, welche AVR insgesamt anzuwenden sind.
2. Die Nichtanwendung von gliedkirchlich-diakonischen Arbeitsrechtsregelungen kann nach § 1a Abs. 3 Buchst. b AVR.DW.EKD über eine "Ausnahmeentscheidung" erreicht werden.
3. Eine derartige "Ausnahmeentscheidung" erfolgt nach Maßgabe der Satzung des jeweiligen Diakonischen Werkes.
4. Diese Ausnahmeentscheidung "unterliegt" grundsätzlich der in der Satzung vorgesehenen Form der Beschlussfassung, kann sich indes im Ausnahmefall aus der jahrelangen Handhabung der Nichtanwendung der gliedkirchlich-diakonischen Arbeitsrechtsregelungen in Kenntnis des Diakonischen Werkes ergeben.
Tenor:
Unter Zurückweisung der Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung wird auf die Beschwerde der Dienststellenleitung der Beschluss der Schlichtungsstelle der Ev. Landeskirche in Baden vom 21. Juni 2004 - 2 Sch 62/2003 - abgeändert:
Der Antrag der Gesamtmitarbeitervertretung wird zurückgewiesen.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Inhalt der Arbeitsverträge der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen durch die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR.DW.EKD) oder die des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden e.V. (AVR.DW.Baden) bestimmt ist.
Die Antragstellerin ist die Gesamtmitarbeitervertretung der Dienststelle A, eine soziale Einrichtung, die mehrere hundert Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt.
Zwischen Gesamtmitarbeitervertretung und Dienststellenleitung ist streitig, welche Fassung der Arbeitsvertragsrichtlinien für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Anwendung findet, nämlich die Fassung des Diakonischen Werkes der EKD oder die von der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden verabschiedete Fassung.
Ausgangspunkt ist folgendes:
Am 14. April 2003 verabschiedete die Arbeitsrechtliche Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden eine Vergütungserhöhung für die AVR.DW.Baden, und zwar per 1. Januar 2003, während die AVR.DW.EKD eine Gehaltserhöhung erst per 1. Juli 2003 vorgenommen hätten.
Während die Gesamtmitarbeitervertretung davon ausgeht, die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden gingen gem. § 1a Abs. 2 AVR.DW.EKD den Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission des Diakonischen Werkes der EKD vor, steht der Geschäftsführer auf dem Standpunkt, die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden hätten keine Verbindlichkeit, die Beschlüsse zur Vergütungserhöhung für die AVR.DW.Baden seien nicht anzuwenden.
Daraus ergebe sich das Interesse der Gesamtmitarbeitervertretung an der Klärung, welche Arbeitsvertragsrichtlinien Anwendung finden. Mehr als 2000 bestehende Arbeitsverhältnisse richteten sich nach den Arbeitsvertragsrichtlinien. Eine Ausnahmeentscheidung sei bislang nicht vorgelegt worden.
Die Gesamtmitarbeitervertretung hat beantragt,
festzustellen, dass der Inhalt der Arbeitsverträge der Mitarbeiter/-innen durch die AVR in der für den Bereich des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden geltenden Fassung bestimmt ist.
Die Dienststellenleitung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat vorgetragen, die Dienststelle wendete seit mehr als 30 Jahren die AVR.DW.EKD an. Insoweit bestehe eine Ausnahmeregelung, um an dem entsprechenden, früher bestehenden Status, der weit vor die Schaffung von regionalem Arbeitsrecht in Baden zurückreiche, festhalten zu dürfen. Aus diesem Grunde habe der Verwaltungsrat als das in wichtigen Fragen entscheidende Organ in der letzten Sitzung noch einmal festgestellt, die Dienststelle hielte an der Anwendung der AVR.DW.EKD wie in der Vergangenheit fest. Mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 habe der derzeitige geschäftsführende stellvertretende Vorsitzende des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden (Diakonisches Werk Baden) mitgeteilt, dass der Dienststelle die bereits faktisch bestehende Ausnahmebestätigung nach § 5 Abs. 7 der Satzung des Diakonischen Werkes Baden bestätigt werde. Gleichzeitig sei die Dienststelle im Wege der Ausnahmegenehmigung ausdrücklich ermächtigt worden, abweichend von § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter die AVR.DW.EKD unmittelbar anzuwenden.
Die [Kirchengerichtliche] Schlichtungsstelle hatte dem Antrag der Gesamtmitarbeitervertretung insoweit entsprochen, als sie festgestellt hat, dass der Inhalt der Arbeitsverträge der Mitarbeiter und Mitarbeite-rinnen durch die AVR.DW.Baden bis zum Zugang des Schreibens des Diakonischen Werkes Baden vom 18. Dezember 2003 bestimmt wurde. Den weitergehenden Feststellungsantrag hat sie zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, nach dem Wortlaut des § 1a Abs. 2 AVR.DW.EKD gölten für die Dienstgeberin, in deren gliedkirchlichen Bereich eine Arbeitsrechtliche Kommission gebildet sei, die Arbeitsvertragsrichtlinien nach Maßgabe der gliedkirchlich-diakonischen Arbeitsrechtsregelung. Eine Ausnahmegenehmigung sei nicht vorgelegt worden. Eine stillschweigend erteilte Ausnahmegenehmigung i.S.d. § 1a Abs. 3 Buchst. b 2. Alternative AVR.DW.EKD sei ausgeschlossen. Die Regelungen bezüglich der Beschlussfassung belegten, dass eine Beschlussfassung durch entsprechende Niederschrift nachgewiesen werden müsse. Zwar könnten Beschlüsse der Organe mit einfacher Mehrheit gefasst werden. Allein eine Beschlussfassung erfülle den Tatbestand einer Ausnahmeregelung, so dass die von der Dienststellenleitung angesprochene stillschweigende Ausnahmegenehmigung nicht als erheblich angesehen und eingestuft werden könne.
Allerdings sei auf der Vorstandssitzung vom 12. Dezember 2003 eine Grundlage dafür geschaffen worden, dass der Dienstgeberin mit der erforderlichen Außenwirkung durch den geschäftsführenden Vorstand mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 eine Ausnahmegenehmigung dahin erteilt worden sei, abweichend von § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die AVR.DW.EKD unmittelbar anzuwenden. Aufgrund dieser Ermächtigung, die der stellvertretende Vorsitzende des Diakonischen Werkes Baden aufgrund der Vorstandssitzung am 12. Dezember 2003 der Dienstgeberin mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 mitgeteilt habe, müssten die Arbeitsverhältnisse der beschäftigten Arbeitnehmer auf der Grundlage der AVR.DW.EKD durch die Dienstgeberin erfasst und entsprechend dieser Regelungen behandelt werden. Bezogen auf einen früheren Zeitpunkt habe keine stillschweigende Ausnahmegenehmigung angenommen werden können. Es fehle an einem formellen Verbandsbeschluss. Was den Sachvortrag der Dienstgeberin hinsichtlich einer Beschlussfassung anbelange, so sei dieser unsubstantiiert mit der Folge, dass eine Beweisaufnahme nicht geboten gewesen sei.
Gegen diesen der Dienststellenleitung am 31. August 2004, der Gesamtmitarbeitervertretung am 30. August 2004 zugestellten Beschluss haben beide Beteiligte Beschwerde eingelegt, die Dienststellenleitung am 2. September 2004, die Gesamtmitarbeitervertretung am 27. September 2004.
Die Dienststellenleitung trägt vor, der angegriffene Beschluss verkenne, dass gem. § 1a AVR.DW.EKD die Beschwerdeführerin bereits vor Zugang des Schreibens des Diakonischen Werkes Baden vom 18. Dezember 2003 berechtigt gewesen sei, die AVR.DW.EKD direkt anzuwenden. Insoweit habe eine Ausnahmegenehmigung gem. § 1a Abs. 3 Buchst. b AVR.DW.EKD vorgelegen.
Durch gemeinsames Handeln sei es zum Ausdruck gekommen, dass die Zugehörigkeit zum Diakonischen Werk Baden unbeschadet der Anwendung überregionalen Arbeitsrechts habe unbestritten bleiben sollen. Die Dienststellenleitung habe sich vielmehr auf die Aussagen des Hauptgeschäftsführers und des Justiziars des Diakonischen Werkes Baden verlassen dürfen. Es sei immer wieder zum Ausdruck gebracht worden, die Dienstgeberin verhalte sich verbandskonform und satzungstreu, wenn sie weiterhin überregionales Arbeitsrecht anwende. Ein etwaiger Verstoß gegen die Satzung beim Zustandekommen des Vorstandsbeschlusses könne sich nicht auf das Außenverhältnis zu ihr auswirken.
Die unmittelbare Anwendung der AVR.DW.EKD durch die Dienstgeberin reiche weit hinter den Zeit-punkt zurück, in dem badisches Arbeitsrecht eingeführt worden sei. Auch nach der Schaffung des regionalkirchlichen Arbeitsrechts in Baden hätte die Dienststelle, und zwar in Konsens mit dem Diakonischen Werk Baden, an ihrer bisherigen Rechtspraxis festgehalten, wobei sowohl die Dienstgeberin als auch das Diakonische Werk Baden davon ausgegangen seien, dass die Anwendung der AVR.DW.EKD keiner schriftlichen Ausnahmegenehmigung bedürfe. Vielmehr sei man gemeinsam der Auffassung gewesen, mangels Schriftlichkeitsgebots in der Satzung des Diakonischen Werkes genüge die bewusste Akzeptierung des bisherigen Rechtszustandes. Dementsprechend seien von der Dienstgeberin in ständiger Praxis die AVR.DW.EKD zugrunde gelegt worden, was auch von den Gerichten in den vergangenen 30 Jahren stets so akzeptiert worden sei. Auch sonst sei von der direkten Anwendung der AVR.DW.EKD ausgegangen worden, was die Dienststellenleitung im Einzelnen vorträgt.
Auch die Gesamtmitarbeitervertretung habe dies so gesehen und die bislang ausschließliche Geltung der AVR.DW.EKD nie in Frage gestellt, wie das Schreiben vom 15. November 1994 der Mitarbeitervertretung zeige.
Die Dienststellenleitung beantragt,
auf die Beschwerde der Dienststellenleitung wird der Beschluss der [Kirchengerichtlichen] Schlichtungsstelle der Evangelischen Landeskirche in Baden vom 21. Juni 2004 - Az.: 2 Sch 62/2003 - aufgehoben.
Der Feststellungsantrag der Gesamtmitarbeitervertretung wird zurückgewiesen.
Die Gesamtmitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde der Dienststellenleitung zurückzuweisen.
Die Dienststellenleitung trage nicht vor, bei welchen konkreten Bestimmungen tatsächlich abweichend von den AVR.DW.Baden die AVR.DW.EKD angewendet worden seien, wer vom Vorstand des Diakonischen Werkes Baden diesbezüglich informiert gewesen sei und wie von Seiten des Diakonischen Werkes Baden darauf reagiert worden sei. Eine Beschlussfassung des Diakonischen Werkes Baden sei nicht vorgetragen worden. Es sei nicht vorgetragen worden, dass die Dienststellenleitung eine Ausnahmegenehmigung erhalten habe, obwohl ein entsprechender Vorstandsbeschluss nicht vorliege und sie aber darauf habe vertrauen können, dass dieser erteilten Ausnahmegenehmigung auch ein Vorstandsbeschluss zugrunde liege.
Die Gesamtmitarbeitervertretung beantragt ihrerseits,
unter teilweiser Abänderung des Beschlusses der [Kirchengerichtlichen] Schlichtungsstelle vom 21. Juni 2004 festzustellen, dass der Inhalt der Arbeitsverträge der Mitarbeiter/-innen durch die AVR in der für den Bereich des Diakonischen Werkes der Evangelischen Landeskirche in Baden geltenden Fassung auch über den 18. Dezember 2003 hinaus bestimmt wird.
Am 12. Dezember 2003 habe der Vorstand keine Ausnahmegenehmigung erteilt. Vielmehr habe er nur eine nichtbestehende Ausnahmegenehmigung bestätigt. Das sei keine wirkliche Ausnahmegenehmigung. Aus dem Schreiben vom 18. Dezember 2003 sei nichts anderes zu entnehmen. Auch hier werde nur die Ausnahmegenehmigung bestätigt und hieraus die Konsequenz gezogen, die Dienstelle sei ermächtigt, die AVR.DW.EKD anzuwenden. Dies reiche nicht aus. Nachträglich müsse ein entsprechender Beschluss gefasst sein.
Die Dienststellenleitung beantragt,
die Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung zurückzuweisen.
Das Schreiben vom 18. Dezember 2003 werde unvollständig zitiert. Es werde nicht nur die bisher bestehende faktische Ausnahmegenehmigung bestätigt, vielmehr die Dienstgeberin im Wege der Ausnahmegenehmigung ermächtigt, abweichend von § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden auf die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die AVR.DW.EKD unmittelbar anzuwenden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
II. Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Dienststellenleitung ist begründet. Die statthafte und auch sonst zulässige Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung ist unbegründet. Die [Kirchengerichtliche] Schlichtungsstelle hat dem Antrag der Gesamtmitarbeitervertretung zu Unrecht teilweise stattgegeben.
1. Die Beschwerde ist nach § 63 MVG.EKD a.F. statthaft. Sie hat sich nach den Bestimmungen des MVG.EKD in der Fassung zu richten, die zur Zeit der Einlegung und Begründung der Beschwerde gegolten hat. Die Neufassung der Bestimmungen über die Beschwerde im MVG.EKD durch Artikel 5 Nr. 31 des Kirchengesetzes über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der Evangelischen Kirche in Deutschland vom 6. November 2003 (ABl.EKD S. 408), das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist (Artikel 8 § 2 Abs. 1), sind nicht anzuwenden. Vielmehr kommt es für die Statthaftigkeit und die Zulässigkeit der Beschwerde auf die zur Zeit ihrer Einlegung (und Begründung) geltenden Vorschriften an. Dagegen richtet sich die Durchführung des Verfahrens selbst in der Zeit nach dem 1. Januar 2004 nach den seit diesem Tag für das Verfahren in Streitigkeiten aus dem MVG geltenden Verfahrensvorschriften, nämlich gemäß § 63 Abs. 7 MVG.EKD nach den Vorschriften über das Beschwerdeverfahren des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens. Dies sind vorliegend die Vorschriften des § 63 Abs. 1 Buchst. g MVG.EKD in der vor deren Änderung durch das vorstehend genannte Gesetz geltenden Fassung. Die Evangelische Kirche in Baden hat die Änderung des § 63 MVG.EKD zur maß-geblichen Zeit, (noch) nicht gliedkirchengesetzlich übernommen (Kirchliches Gesetz über die Anwendung des Kirchengesetzes über die Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland der Ev. Kirche in Baden zuletzt geändert am 23. Oktober 2003 - GVBl. S. 176).
a) Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtsfrage im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn die Entscheidung der mitarbeitervertretungsrechtlichen Streitigkeit von der Beantwortung der Rechtsfrage abhängt, diese klärungsbedürftig und klärungsfähig ist und die Klärung von allgemeiner Bedeutung für die kirchliche oder diakonische Rechtsordnung ist (VerwG.EKD, Beschluss vom 10. Juli 1997 - 0124/B3-97 - ZMV 1997, 246).
b) Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Zu klären ist der etwaige Anwendungsvorrang gliedkirchlicher Arbeitsrechtsregelungen. Dabei geht es um die Frage, ob und wenn ja, ab wann und unter welchen Voraussetzungen eine Sonderregelung nach der Satzung des Diakonischen Werkes Baden über die Nichtanwendung der AVR.DW.Baden in der von der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden verabschiedeten Fassung gegeben ist und deswegen die AVR.DW.EKD in der bundesweiten Fassung anzuwenden sind. Diese Rechtsfrage ist hier bei dem vorliegenden Einzelfall hinaus von Bedeutung, nachdem die AVR.DW.EKD in der bundesweiten Fassung zunehmend inhaltlich von gliedkirchlichen Arbeitsrechtsregelungen abweichen.
2. Die auch sonst zulässige Beschwerde der Dienststellenleitung ist begründet. Die auch sonst zulässige Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung ist unbegründet. Das führt unter Zurückweisung der Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung unter Abänderung des Beschlusses der [Kirchengerichtlichen] Schlichtungsstelle zur Zurückweisung des Antrages der Gesamtmitarbeitervertretung insgesamt.
a) Die Dienststellenleitung weist zutreffend darauf hin, dass bezogen auf das einzelne Arbeitsverhältnis das entscheidend ist, was zwischen der Dienststellenleitung und dem Mitarbeiter oder der Mitarbeiterin vereinbart wurde.
Geht man von der Formulierung aus, die die Dienststellenleitung auf Bl. 2 ihres Schriftsatzes vom 29. Dezember 2004 zitiert hat, so ist damit die Anwendbarkeit der Bestimmung in § 1a Abs. 2 Satz 1 AVR.DW.EKD vereinbart worden. Der Inhalt dieser Bestimmung besteht darin, dass die Arbeitsvertragsrichtlinie nach Maßgabe des gliedkirchlichen Diakonischen Werkes Anwendung finden. Für den Bereich des Diakonischen Werkes Baden sind damit dessen Arbeitsrechtsregelungen maßgebend. Allerdings setzt § 1a Abs. 2 AVR.DW.EKD voraus, dass die gliedkirchlich-diakonischen Arbeitsrechtsregelungen von der betreffenden Einrichtung auch anzuwenden sind. Nach § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden sind "die Mitglieder ... verpflichtet", "das Dienst- und Vergütungsrecht der Evangelischen Landeskirche in Baden einschließlich der nach dem Arbeitsrechtsregelungsgesetz zustandegekommenden Arbeitsrechtsregelung anzuwenden ...". Daran ist die Dienststelle an sich gebunden, weil sie dem Diakonischen Werk Baden angehört.
b) Nun reklamiert die Dienststellenleitung eine "Ausnahmeentscheidung" i.S.d. § 1a Abs. 3 Buchst. b AVR.DW.EKD für sich. Die Gesamtmitarbeitervertretung leugnet diese.
aa) Die Gesamtmitarbeitervertretung darf mit Rücksicht darauf, dass sie nach § 35 Abs. 3 Buchst. b MVG.EKD dafür einzutreten hat, dass auch die arbeitsrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden, klären lassen, welche Arbeitsvertragsrichtlinien insgesamt anzuwenden sind (vgl. VerwG.EKD, Beschluss vom 7. Dezember 2000 - 0124/E4-00 - ZMV 2001, 138).
c) Von einer solchen "Ausnahmeentscheidung" war in der Gesamtschau des Vortrages der Beteiligten im Ergebnis auszugehen.
(1) Die [Kirchengerichtliche] Schlichtungsstelle hat ausgeführt, auf der Vorstandssitzung vom 12. Dezember 2003 sei eine Grundlage dafür geschaffen worden, dass die Dienstgeberin mit der erforderlichen Außenwirkung durch den geschäftsführenden Vorstand mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 eine Ausnahmegenehmigung dahingehend erhalten habe, abweichend von § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die AVR.DW.EKD unmittelbar anzuwenden. Aufgrund dieser Ermächtigung, die der stellvertretende Vorsitzende des Diakonischen Werkes Baden aufgrund der Vorstandssitzung am 12. Dezember 2003 der Dienstgeberin mit Schreiben vom 18. Dezember 2003 mitgeteilt habe, müssten die Arbeitsverhältnisse der beschäftigten Arbeitnehmer auf der Grundlage der AVR.DW.EKD durch die Dienstgeberin erfasst und entsprechend dieser Regelungen behandelt werden.
(2) Dem folgt der Senat im Ergebnis. Denn das Diakonische Werk Baden führt in seinem Schreiben vom 18. Dezember 2003 nicht nur aus, der Dienststelle werde die bereits faktisch bestehende Ausnahmegenehmigung nach § 5 Abs. 7 der Satzung des Diakonischen Werkes Baden bestätigt, sondern es heißt auch, im Wege der Ausnahmegenehmigung werde das Mitglied ermächtigt, abweichend von § 5 Abs. 5 Buchst. a der Satzung des Diakonischen Werkes Baden auf die Arbeitsverhältnisse seiner Mitarbeitenden die AVR.DW.EKD unmittelbar anzuwenden.
Dass ein Beschluss tatsächlich ergangen ist, folgt aus dem vorgelegten "Protokoll der Sitzung vom 12. Dezember 2003", in dem es heißt,
"den in der Anlage aufgelisteten Mitgliedern des Diakonischen Werkes Baden, die aufgrund ihrer zum Teil über einhundertjährigen Geschichte den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) bzw. den Manteltarifvertrag für Arbeiter (MTArb) direkt oder die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der EKD (AVR) in der bundesweiten Fassung ohne förmliche Ausnahmegenehmigung anwenden, wird die bestehende Ausnahmegenehmigung gem. § 5 Abs. 7 der Satzung des Diakonischen Werkes Baden bestätigt."
Zwar ist in dem Protokoll nur von "vorbehaltloser Bestätigung einer bestehenden Ausnahmegenehmigung" bzw. davon die Rede, "dass die bestehende Ausnahmegenehmigung gem. § 5 Abs. 7 der Satzung des Diakonischen Werkes Baden bestätigt" wird. Nimmt man die "Liste der Bestätigungen für Ausnahmegenehmigungen zur Anwendung des BAT/MTArb und der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der EKD (AVR) nach § 5 Abs. 7 der Satzung" vom 12. Dezember 2003 hinzu, in der die Dienstgeberin ausdrücklich aufgeführt ist, so konnte und durfte die Dienststellenleitung das Schreiben vom 18. Dezember 2003 jedenfalls dahin verstehen, dass eine "Ausnahmeentscheidung" ex nunc, also mit Zugang des Schreibens vom 18. Dezember 2003 gegeben ist.
Wenngleich das Wort Bestätigung in erster Linie Bekräftigung etwas Vorhandenem bedeutet, kann es gleichermaßen auch "Anerkennung" bedeuten, also im vorliegenden Kontext, dass eine Ausnahme anerkannt, festgestellt wird mit der Folge, dass, selbst wenn eine Ausnahmeentscheidung nicht vorgelegen haben sollte, diese nunmehr getroffen werde.
Eine "Bestätigung" des nichtigen Rechtsgeschäfts als solche ist nicht möglich. In dieser liegt eine Neuvornahme, bei der alle Erfordernisse des betreffenden Rechtsgeschäfts in sachlicher und formeller Hinsicht gegeben sein müssen (§ 141 Abs. 1 BGB). Demnach wirkt das "bestätigte" Rechtsgeschäft erst zum Zeitpunkt der Neuvornahme an.
Entsprechendes gilt hier, wenn man davon ausgeht, eine Ausnahmeentscheidung habe nie vorgelegen.
Das sieht die Gesamtmitarbeitervertretung im Übrigen auch so, wie ihr Schriftsatz vom 8. April 2004 Bl. 4 a.E. zeigt. Auch das Arbeitsgericht Mannheim - Kammern Heidelberg -, geht davon aus, wie seine Ausführungen unter V seines Urteils vom 16. Februar 2004 - 8 CA 386/03 - zeigen.
Damit erweist sich die Beschwerde der Gesamtmitarbeitervertretung als unbegründet.
(3) Entgegen der [Kirchengerichtlichen] Schlichtungsstelle ist der Senat im Ergebnis der Auffassung, dass bereits vor Zugang des Schreibens vom 18. Dezember 2003 eine Ausnahmeentscheidung i.S.d. § 1a Abs. 3 Buchst. b AVR.DW.EKD vorgelegen hat.
(3.1) Die [Kirchengerichtliche] Schlichtungsstelle hat insoweit ausgeführt, auf einen früheren Zeitpunkt - scil. 18. Dezember 2003 - habe keine Ausnahmegenehmigung angenommen werden können. Nach all-gemeiner Auffassung könne dem bloßen Schweigen im Rechtsverkehr kein rechtserheblicher Erklärungswert beigemessen werden. Die Satzung des Diakonischen Werkes Baden lasse eine stillschweigende Ausnahmegenehmigung nicht zu, arg. § 15 der Satzung. Eine Beweisaufnahme habe nicht durchgeführt werden dürfen, da die behauptete Beschlussfassung nicht nachvollziehbar dargelegt worden sei.
(3.2) Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
Das Diakonische Werk Baden geht von der Existenz einer Ausnahmeentscheidung aus. Andernfalls hätte es eine solche nicht bestätigt oder anerkannt. Auch wenn ersichtlich nicht mehr geklärt werden kann, wie es zu dieser Ausnahmeentscheidung gekommen ist, ist sie "gelebt" worden. Das ergeben die vorgetragenen Tatsachen, so dass es auf einen Versuch, die Genese dieser Ausnahmeentscheidung zu klären, nicht ankommt. Die Dienststellenleitung konnte auf die "gelebte" Anwendung der AVR.DW.EKD vertrauen, nachdem das zu keinem Zeitpunkt vom Diakonischen Werk Baden beanstandet worden war.
Die Dienststellenleitung hat vorgetragen, sie habe nach der Schaffung des regionalen kirchlichen Arbeitsrechts in Baden an ihrer bisherigen Rechtsposition festgehalten, die AVR.DW.EKD anzuwenden, dies in Konsens mit dem Diakonischen Werk Baden. Nachdem eine schriftliche Ausnahmeentscheidung weder in den AVR.DW.EKD noch in der Satzung des Diakonischen Werkes Baden vorgesehen ist - § 15 Abs. 1 und Abs. 2 der Satzung des Diakonischen Werkes sind ein Verbandsinternum und haben keine Außenwirkung -, konnte die Dienststellenleitung von dem Vorliegen einer Ausnahmeentscheidung aus-gehen, wenn nicht aufgrund eines Beschlusses, so doch durch konkludentes Handeln des Vereins bzw. seiner Organe.
Dafür steht indiziell die von der Dienststellenleitung im Einzelnen vorgetragene und belegte Praxis der Arbeitsgerichte. Dafür steht auch das Schreiben der Mitarbeitervertretung vom 15. November 1994, in dem unter anderem ausgeführt ist, über die in § 5 Abs. 6 der Satzung des Diakonischen Werkes Baden angeführte Ausnahmeregelung wendete die Dienststelle nicht das Vergütungsrecht der Evangelischen Landeskirche in Baden und damit auch nicht die nach dem Arbeitsrechtsregelungsgesetz zustande gekommenen Arbeitsrechtsregelungen an. Damit gelte für die Dienststelle auch nicht die Arbeitsrechtsregelung Nr. 2/84, und es werde daraus geschlossen, es könnten auch Mitarbeiter eingestellt werden, die nicht Mitglieder einer ACK-Kirche seien.
Die Dienststellenleitung hat betont, die Anwendung der AVR.DW.EKD auch gegenüber den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen immer wieder betont zu haben und hat das durch die Vorlage des "Aushanges" vom 17. April 2003 belegt.
Dem gegenüber hat die Gesamtmitarbeitervertretung nicht deutlich zu machen vermocht, dass entgegen dem Vorstehenden die Arbeitsvertragsrichtlinien in der von der Arbeitsrechtlichen Kommission der Evangelischen Landeskirche in Baden verabschiedeten Fassung "gelebt", also angewendet wurden, mag es bis 2003 auch kaum Unterschiede zwischen beiden Fassungen gegeben haben. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Mannheim - Kammern Heidelberg - vom 16. Februar 2004 - 8 CA 386/03 - ist bereits im Zuge der vorliegenden Auseinandersetzungen ergangen und von daher retrospektiv nicht einschlägig.
Die Ausführungen auf Bl. 2 des Schriftsatzes vom 8. April 2004 Abs. 2 lassen keine konkrete Darstellung erkennen, welche Änderungen der AVR.DW.Baden wann übernommen wurden im Gegensatz zur Änderung der AVR.DW.EKD. Ein entsprechender Vortrag war umso mehr erforderlich, nachdem die Dienststellenleitung vorgetragen hatte - Schriftsatz vom 19. April 2004, Bl. 3 unter 4. -, dass sie stets auf Veröffentlichungen aus dem BAT-Bereich gewartet hätten, da sich üblicherweise die AVR.DW.EKD-Beschlüsse hinsichtlich der Durchführung auch auf Protokollnotizen aus dem BAT-Bereich bezogen hätten.
Damit erweist sich die Beschwerde der Dienststellenleitung als begründet.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD in der ab 1. Januar 2004 geltenden Fassung, § 12 Abs. 5 ArbGG).