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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:22.11.2010
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/S48-10
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 21 Abs. 3, § 38, § 41 Abs. 2, § 42 Buchstabe b)
Vorinstanzen:Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 1. Kammer, 1 M 2/2010
Schlagworte:, Zustimmungsersetzung zur ordentlichen betriebsbedingten Kündigung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung - wesentlicher Teil
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Leitsatz:

1. Prüfungsgegenstand der Zustimmungsersetzung nach § 21 Abs. 3 MVG.EKD bei einer beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung (§ 42 Buchstabe b) MVG.EKD) gegenüber einem Mitarbeitervertreter sind nur die Einwände, die die Mitarbeitervertretung in ihrer schriftlichen Zustimmungsverweigerung rechtzeitig vorgebracht hat (vgl. § 38 Abs. 3 MVG.EKD). Die Einwände sind rechtlich nur beachtlich, soweit sie auf einem Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 41 Abs. 2 MVG.EKD beruhen. Daran ändert das Zustimmungserfordernis des § 21 Abs. 3 MVG.EKD nichts.
2. Ein Teil einer Dienststelle (§ 21 Abs. 3 MVG.EKD) kann unter qualitativen und/oder unter quantitativen Gesichtspunkten "wesentlich" sein. Liegt mindestens eine der beiden Alternativen vor, so ist das Tatbestandsmerkmal "wesentlicher Teil" erfüllt.
3. Das Betreiben und Pflegen eines Friedhofes einschließlich der friedhofseitigen Durchführung von Bestattungen (Ausheben und Verschließen des Grabes) zählt von jeher zu den hergebrachten Aufgaben kirchlicher Gemeinden

Tenor:

Auf die Beschwerde wird der Beschluss der Schlichtungsstelle nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Ev. Kirche von Westfalen - 1. Kammer - vom 28. Mai 2010 - Az.: 1 M 2/2010 - abgeändert.
Die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur ordentlichen Kündigung der Arbeitsverträge der Friedhofsarbeiter (und Mitglieder der Mitarbeitervertretung) Herrn D und Herrn E wird ersetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin beschäftigt 17 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie betreibt unter anderem einen Friedhof. Dort waren drei Friedhofsarbeiter beschäftigt. Einer von ihnen schied aus. Die beiden anderen sind Herr D und Herr E. Herr D ist mit 21 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt, Herr E hat einen Arbeitsvertrag als Friedhofsarbeiter mit 20 Wochenstunden. Daneben ist er bei der Antragstellerin als Küster auf Grund eines weiteren Arbeitsvertrags mit einer Wochenarbeitszeit vom 18,5 Stunden angestellt.
Das Presbyterium der Antragstellerin beschloss am 24. Februar 2010, die Friedhofsarbeiten einschließlich der Bestattungen und Unterhaltsarbeiten ab 1. Oktober 2010 einem Dritten zu übertragen, eine vakante Stelle nicht wieder zu besetzen und die Arbeitsverträge von Herrn D und Herrn E als Friedhofsarbeiter zum 30. September 2010 ordentlich zu kündigen. Wegen der Einzelheiten wird auf den beglaubigten Auszug aus der Verhandlungsniederschrift des Presbyteriums (Anlage zur Antragsschrift) Bezug genommen.
Bei der Antragstellerin besteht die beteiligte Mitarbeitervertretung. Sie ist zuletzt am 25. März 2010 ordentlich gewählt worden und besteht aus drei Personen, u.a. den Herren D und E. Die Antragstellerin bat die Mitarbeitervertretung am 26. Februar 2010 mündlich und durch ihr Schreiben vom selben Tag um deren Zustimmung zu den ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen der Arbeitsverträge von Herrn D und Herrn E, hilfsweise zur ordentlichen Änderungskündigung des Herrn E mit dem Angebot der Weiterarbeit als Küster mit 18,5 Wochenstunden. Mit Schreiben vom 4. März 2010 antworte die Mitarbeitervertretung wie folgt:
„Sehr geehrter Herr F,
sehr geehrtes Presbyterium!
Vielen Dank für Ihr Gespräch am 26.02.2010. Ich habe die Sachlage zur Kenntnis genommen. Als Mitarbeitervertreter stimme ich diesen Kündigungen, wie im Schreiben vom 01.12.2009 bereits erwähnt, nicht zu.
Meiner Meinung nach sind die Kündigungen (bzw. eine Änderungskündigung) sozial nicht vertretbar. Herr D ist mehrfacher Familienvater und Herr E kann als Küster in Teilzeittätigkeit seinen Lebensunterhalt davon nicht bestreiten. Des Weiteren hat Herr E als Mitarbeitervertreter einen besonderen Kündigungsschutz nach § 21 MVG.
Zum jetzigen Zeitpunkt hat keiner der Betroffenen Aussicht auf einen neuen Arbeitsplatz.
Mit freundlichen Grüßen
(Unterschrift)“
Mit ihrer Antragsschrift vom 8. März 2010 hat die Antragstellerin am 9. März 2010 die Schlichtungsstelle angerufen.
Die Antragstellerin macht geltend, Herr D und Herr E seien zwar Mitarbeitervertreter; die beabsichtigten ordentlichen Kündigungen seien aber nach § 21 Abs. 3 MVG.EKD statthaft, weil es sich bei der Beendigung aller Friedhofsarbeiten um die Auflösung eines „wesentlichen Teils“ der Dienststelle handele. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Antragstellerin wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 8. März, 7. April, 10. Mai, 15. Juni und 5. Juli 2010 Bezug genommen.
Sie hat den Antrag angekündigt, die fehlenden Zustimmungen zu den beabsichtigten Kündigungen zu ersetzen, sodann aber beantragt,
festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung keine Gründe nach § 41 MVG.EKD vorliegen, die Zustimmung zu der beabsichtigten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Mitarbeiter E, zur hilfsweise beabsichtigten Änderungskündigung des Mitarbeiters E sowie zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Mitarbeiters D zu verweigern.
Die Mitarbeitervertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie hat ihre Argumentation aus der schriftlichen Zustimmungsverweigerung wiederholt und geltend gemacht, es liege keine Auflösung eines „wesentlichen Teiles der Dienststelle vor. Wegen der Einzelheiten ihres Vorbringens im ersten Rechtszug wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen vom 24. März, 7. April, 22. April, 29. April, 10. Mai und 18. Juni 2010 Bezug genommen.
Die Schlichtungsstelle hat den Antrag durch ihren Beschluss vom 28. Mai 2010 mit im Wesentlichen der Begründung zurückgewiesen, die Voraussetzung des § 21 Abs. 3 MVG.EKD liege nicht vor, weil es sich bei dem Friedhof nicht um einen wesentlichen Teil der Dienststelle handele, der aufgelöst werden soll.
Hiergegen wendet sich die antragstellende Dienststelle mit ihrer Beschwerde. Sie macht geltend, mit der Einstellung der Friedhofsarbeiten werde ein „wesentlicher Teil“ der Dienststelle aufgelöst. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beschwerdeführerin wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen vom 6. August, 3. und 8. September 2010 Bezug genommen.
Sie beantragt,
die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zur ordentlichen Kündigung der Arbeitsverträge der Friedhofsarbeiter (und Mitglieder der Mitarbeitervertretung) Herrn D und Herrn E zu ersetzen;
hilfsweise,
festzustellen, dass für die Mitarbeitervertretung keine Gründe nach § 41 MVG.EKD vorliegen, die Zustimmung zu der beabsichtigten betriebsbedingten ordentlichen Kündigung des Mitarbeiter E, zur hilfsweise beabsichtigten Änderungskündigung des Mitarbeiters E sowie zur beabsichtigten betriebsbedingten Kündigung des Mitarbeiters D zu verweigern.
Die Mitarbeitervertretung beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach näherer Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 15. November 2010.
II. Die durch den Beschluss vom 25. Oktober 2010 zur Entscheidung angenommene Beschwerde ist begründet. Die angefochtene Entscheidung hält der Beschwerde nicht stand. Sie ist zu Unrecht ergangen. Die Mitarbeitervertretung hat ihre Zustimmung zu den in Rede stehenden beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen der als Friedhofsarbeiter angestellten Herren D und E, die beide der Mitarbeitervertretung angehören, zu Unrecht verweigert; sie war zu ersetzen (§ 21 Abs. 3, § 38 § 41 Abs. 2, § 42 Buchstabe b) MVG.EKD).
1. Die Begründetheit der Beschwerde scheitert nicht daran, dass der nunmehr gestellte Hauptantrag im ersten Rechtszug nicht gestellt worden ist. In der rechtzeitig bei der Schlichtungsstelle eingereichten Anrufungsschrift (§ 38 Abs. 4 MVG.EKD) hat die Dienststellenleitung den auch formal „richtigen“ Antrag angekündigt. Diesen hat sie der Sache nach nicht fallen gelassen, als sie zu Protokoll der Vorinstanz den jetzt als Hilfsantrag verfolgten Antrag gestellt hat. Der Antrag auf die Feststellung, dass kein Zustimmungsverweigerungsgrund vorliegt, ist unter Berücksichtigung des Vorbringens zu seiner Begründung auszulegen. Die Auslegung ergibt, dass die Antragstellerin ihr auch formal richtiges Verfahrensziel mit dem „umgestellten“ Antrag weiterverfolgt.
2. Die Zustimmung war zu ersetzen, weil kein Grund für eine Zustimmungsverweigerung der Mitarbeitervertretung zu den beiden ordentlichen betriebsbedingten Kündigungen nach Ablauf der Probezeit (§ 42 Buchstabe b) MVG.EKD) vorliegt.
a) Prüfungsgegenstand der Zustimmungsersetzung nach § 21 Abs. 3 MVG.EKD bei einer beabsichtigten ordentlichen betriebsbedingten Kündigung (§ 42 Buchstabe b) MVG.EKD) gegenüber einem Mitarbeitervertreter sind nur die Einwände, die die Mitarbeitervertretung in ihrer schriftlichen Zustimmungsverweigerung rechtzeitig vorgebracht hat (vgl. § 38 Abs. 3 MVG.EKD). Die Einwände sind rechtlich nur beachtlich, soweit sie auf einem Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 41 Abs. 2 MVG.EKD beruhen. Daran ändert das Zustimmungserfordernis des § 21 Abs. 3 MVG.EKD nichts.
b) Im Zustimmungsverweigerungsschreiben der Mitarbeitervertretung vom 4. März 2010 ist nur der Hinweis auf den „besonderen Kündigungsschutz des § 21 MVG.EKD“ gemäß § 41 Abs. 2 MVG.EKD rechtlich beachtlich. Die dortigen Hinweise auf die sozialen Gesichtspunkte haben im vorliegenden Fall keine rechtlich beachtliche Relevanz. Eine soziale Härte macht die beabsichtigten Kündigungen nicht zu unrechtmäßigen.
3. Die Vorinstanz hat zu Unrecht angenommen, es handele sich bei der beschlossenen Einstellung der Durchführung von Bestattungen und aller pflegerischen Arbeiten auf dem Friedhof nicht um die Auflösung eines wesentliches Teiles der Dienststelle i.S. des § 21 Abs. 3 MVG.EKD.
a) Nach § 21 Abs. 3 MVG.EKD ist die ordentliche Kündigung eines Mitglieds der Mitarbeitervertretung zulässig, wenn die Dienststelle ganz oder zu einem wesentlichen Teil aufgelöst wird. Ein Teil einer Dienststelle (§ 21 Abs. 3 MVG:EKD) kann unter qualitativen und/oder unter quantitativen Gesichtspunkten „wesentlich“ sein. Qualitativ kommt es auf die Bedeutung des Dienststellenteils für den Dienststellenzweck insgesamt an. Quantitativ ist ein Dienststellenteil wesentlich, wenn in ihm ein erheblicher Teil der Gesamtmitarbeiterschaft beschäftigt wird (vgl. Fey/Rehren, Praxiskommentar zum MVG.EKD, Stand August 2010, § 21 MVG.EKD Rn. 16a; a.A. Baumann-Czichon/Dembski/Germer/Kopp, Kommentar zum MVG.EKD, 3. Aufl., § 21 Rn. 6, wonach es nur auf quantitative Aspekte ankomme; unklar Berliner Kommentar zum MVG.EKD/Küfner-Schmitt, Stand 2007 § 21 MVG.EKD Rn. 26 mit ihrem Verweis auf die Kommentierung des Begriffs „erheblich Teile“ der Dienststelle in Berliner Kommentar Andelewski, Stand 2007 § 46 MVG.EKD Rn.3). Liegt mindestens eine der beiden Alternativen vor, so ist das Tatbestandsmerkmal „wesentlicher Teil“ erfüllt (vgl. KGH.EKD, Beschluss vom 6. Juli 2004 - I-0124/H25-03 - ZMV 2005, 143).
b) Das Betreiben und Pflegen eines Friedhofes einschließlich der friedhofseitigen Durchführung von Bestattungen (Ausheben und Verschließen des Grabes) zählt von jeher zu den hergebrachten Aufgaben kirchlicher Gemeinden. Diese Aufgabe wurde bei der Antragstellerin mit kircheneigenen Mitarbeitern durchgeführt und ist im besten Sinne des Wortes als eine „wesentliche“ einzuordnen. Wird sie - wie hier - durch Fremdvergabe völlig aufgegeben, so bedeutet dies nichts anderes, als dass die Gemeinde einen wesentlichen Teil ihres Dienstbetriebes endgültig einstellt und damit einen wesentlichen Teil ihrer Dienststelle auflöst. Dies hat die Vorinstanz verkannt, indem sie lediglich auf die „wirtschaftliche“ Bedeutung des Betreibens angestellt hat. Eine rein wirtschaftliche Betrachtung wird den Anforderungen des Gesetzes nicht gerecht. Was für eine Kirchengemeinde wesentlich ist, bestimmt sich nach ihren kirchlichen Aufgaben, nicht aber (nur) nach der wirtschaftlichen Bedeutung der Betätigung.
c) Zudem hat die Vorinstanz auch die wirtschaftliche Bedeutung für die Kirchengemeinde, auf die sie selbst abstellt, nicht aufgeklärt. Ausgehend von den von der Antragstellerin zuletzt vorgelegten Zahlen stellt das in Rede stehende Betreiben der gärtnerischen Pflege des Friedhofes und friedhofseitiger Durchführung von Bestattungen auch wirtschaftlich für den Haushalt der Gemeinde „Wesentliches“ dar. Die ständige Unterdeckung hätte die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz der Gemeinde unweigerlich zur Folge. Die Mitarbeitervertretung hat den Vortrag der Dienststellenleitung hierzu mit Nichtwissen bestritten. Dem braucht der Senat jedoch nicht im Wege der Beweisaufnahme nachzugehen, weil die „Wesentlichkeit“ des in Rede stehenden Teiles der Aufgaben der Dienststelle bereits aus der Aufgabenstellung selbst folgt.
III. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).