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Kirchengericht:Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland
Entscheidungsform:Beschluss (rechtskräftig)
Datum:06.09.2010
Aktenzeichen:KGH.EKD I-0124/S53-10
Rechtsgrundlage:MVG.EKD § 14
Vorinstanzen:Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V., II-34/10, Fundstelle: ZMV 3/2011, S. 158
Schlagworte:Unterlassungsanspruch gegen eine Mitarbeitervertretungswahl
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Leitsatz:

1. Fehler im Wahlverfahren führen in aller Regel nur zur Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit der Wahl der Mitarbeitervertretung.
2. Die Nichtigkeit der Wahl einer Mitarbeitervertretung kann nur dann angenommen werden, wenn derart grob und gravierend gegen die wesentlichen Grundsätze des Wahlrechts verstoßen worden ist, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt; dabei kann die Nichtigkeit der Wahl einer Mitarbeitervertretung sich auch nicht aus einer Gesamtwürdigung einer Reihe von Verstößen gegen Wahlvorschriften ergeben, der jeder für sich nur deren Anfechtbarkeit nach sich zöge.
3. Fehler, die nach § 14 MVG.EKD zur Anfechtbarkeit einer Wahl führen, haben nicht zur Folge, dass die weitere Durchführung der Wahl gerichtlich untersagt werden darf.

Tenor:

Die Beschwerde der Dienststellenleitung gegen den Beschluss der Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. vom 26. Juli 2010 - Az.: II-34/10 - wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Wahlvorstand betreibt die ordentliche Neuwahl der (gemeinsamen) Mitarbeitervertretung für alle acht von der Antragstellerin betriebenen Einrichtungen. Die regelmäßige bisherige Amtszeit der für eben diese Einrichtungen gebildeten Mitarbeitervertretung ist am 30. April 2010 abgelaufen. Zur Bildung eines Wahlvorstandes für die regelmäßige Wahl der Mitarbeitervertretung hat die (ehemalige) Vorsitzende der Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 15. April 2010 zu einer "Betriebsversammlung der Mitarbeiter-Vertretung" am 30. April 2010 eingeladen. Daran haben nur zehn von etwa 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller acht Einrichtungen, die die Dienststellenleitung betreibt, teilgenommen. Der vorliegend beteiligte Wahlvorstand ist in dieser Mitarbeiterversammlung gebildet worden.
Die Dienststellenleitung (Antragstellerin und Beschwerdeführerin) ist in einem parallel betriebenen Verfahren der einstweiligen Verfügung von derselben Schieds- und Schlichtungsstelle auf den dortigen Antrag des Wahlvorstandes verurteilt worden, dem Wahlvorstand eine vollständige Liste aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller ihrer acht von ihr betriebenen Einrichtungen auszuhändigen (Az.: II-24/10). Der insoweit bisher nicht mit der Beschwerde angefochtene Beschluss umfasst auch die vorliegende, im Verfahren der einstweiligen Verfügung betriebene gerichtliche Auseinandersetzung.
Im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Verfügung gegen den Wahlvorstand will die Dienststellenleitung die Durchführung der laufenden Wahl einer (gemeinsamen) Mitarbeitervertretung für alle acht Einrichtungen der Dienststellenleitung unterbinden (erstinstanzliches Az.: II-34/10). Die Dienststellenleitung hat Umstände dargelegt, aus denen sie folgert, dass die derzeit betriebene Wahl der Mitarbeitervertretung nichtig sei. Auch wenn sie dem Diakonischen Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO) e.V. angehöre, sei nicht das dort geltende MVG.EKD i.V.m. dem MVG.DWBO anzuwenden, sondern infolge ihres Beitritts zum Diakonischen Werk der Ev. Kirche in Hessen und Nassau (DWHN) die dort geltende MAVO. Vor allem infolge der Nichtigkeit der Bildung des Wahlvorstandes werde auch die derzeit betriebene Wahl der Mitarbeitervertretung auf der Grundlage des MVG.EKD nichtig sein; diese Wahl dürfe deshalb nicht weiter durchgeführt werden. Die Bildung des Wahlvorstandes selbst sei nichtig, weil die Mitarbeitervertretung nicht ordentlich und in etlichen Einrichtungen überhaupt nicht zur entsprechenden Mitarbeiterversammlung eingeladen habe. Es sei zudem keine gemeinsame Mitarbeitervertretung für alle acht Einrichtungen zu wählen, sondern es müsse in jeder der Einrichtungen wegen deren Eigenständigkeit eine gesonderte Mitarbeitervertretung gewählt werden. In zwei Einrichtungen seien bereits Wahlvorstände gebildet worden.
Sie hat - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - beantragt,
dem Wahlvorstand zu untersagen, die laufende Mitarbeitervertretungswahl fortzusetzen.
Der Wahlvorstand hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er sei ordnungsgemäß gebildet worden; die von der Dienststellenleitung angeführten Gründe und Umstände lägen nicht vor; sie führten jedenfalls nicht zur Nichtigkeit der Wahl einer (gemeinsamen) Mitarbeitervertretung für alle acht Einrichtungen.
Die Vorinstanz hat den Antrag der Dienststellenleitung mit im Kern der Begründung zurückgewiesen, die geltend gemachten Gründe führten nicht zur Nichtigkeit, sondern, wenn überhaupt, nur zur Anfechtbarkeit der Wahl. Das aber genüge nicht, um die Durchführung der Wahl zu untersagen (Beschluss vom 26. Juli 2010 - II-34/10).
Gegen diesen ihr am 2. August 2010 zugestellten Beschluss richtet sich die am 18. August 2010 (Fax) eingereichte Beschwerde der Dienststellenleitung. Sie ist nur gegen den Wahlvorstand gerichtet, nicht aber gegen die im ersten Rechtszug beteiligten Wahlvorstandsmitglieder. Ebenso hat die Beschwerdeführerin ihre erstinstanzliche Verurteilung zur Herausgabe der Listen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der acht Einrichtungen an den Wahlvorstand nicht mit der Beschwerde angegriffen.
Die Beschwerdeführerin greift den angefochtenen Beschluss als unrichtig an. Sie bringt z.T. erneut, z.T. vertieft Tatsachenbehauptungen hinsichtlich der Fehler bei der Bildung des Wahlvorstandes vor. Die Einladung zur Mitarbeiterversammlung vom 30. April 2010 sei nicht in allen Einrichtungen bekannt gegeben worden; es sei widersprüchlich, wenn die Mitarbeitervertretung insoweit einmal von Aushängen und dann von Auslegen der Einladung rede. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsschrift vom 18. August 2010 und der weiteren Schriftsätze vom 2. und 3. September 2010 Bezug genommen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses der Schieds- und Schlichtungsstelle des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. - Az.: II-34/10 - vom 26. Juli 2010
den Antragsgegner und Beschwerdegegner (sc. den Wahlvorstand) zu verpflichten, es zu unterlassen, das zurzeit laufende Wahlverfahren zur Wahl einer Gesamtmitarbeitervertretung fortzusetzen sowie die Nichtigkeit der Wahl festzustellen,
hilfsweise,
den Antragsgegner zu verpflichten, das zurzeit laufende Wahlverfahren abzubrechen und bekannt zu machen, dass der Wahlgang nicht stattfindet.
Der Wahlvorstand beantragt
die Anträge zurückzuweisen.
Er verteidigt den angegriffenen Beschluss mit seinem Schriftsatz vom 27. August 2010 und nimmt im Übrigen zum Sachvortrag der Beschwerdebegründung Stellung.
II. Die Beschwerde ist nach § 63 Abs. 1 Buchstabe f) MVG.EKD a.F. statthaft; sie ist auch zulässig.
Vorliegend ist das MVG.EKD ohne die ab 1. Januar 2004 und später in Kraft getretenen Änderungen maßgeblich. Das Diakonische Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hat - bisher - die Bestimmungen über die Beschwerde im MVG.EKD durch Artikel 5 Nr. 31 des KiGG.EKD vom 6. November 2003, das am 1. Januar 2004 in Kraft getreten ist, nicht übernommen (§§ 1 und 16 des Kirchengesetzes über die Anwendung des MVG.EKD in der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz vom 16. April 2010 (KABl.EKBO S. 108 = ABl.EKD S. 158) i. V. m. der Rechtsverordnung zum MVG-Anwendungsgesetz zur Anpassung von Regelungen des Mitarbeitervertretungsrechts der EKD und der EKiBB an die Verhältnisse im Bereich des Diakonischen Werks Berlin Brandenburg vom 11. November 1994 (ABl.EKiBB S. 221), geändert durch Verordnung vom 19. Februar 1999 (ABl.EKiBB S. 47)). Daher kommt es für die Statthaftigkeit und Zulässigkeit der Beschwerde auf die anzuwendenden Regelungen nach dem MVG.EKD a.F. an, während sich die Durchführung des Verfahrens selbst in der Zeit nach dem 1. Januar 2004 nach den mit diesem Tag für das Verfahren in Streitigkeiten nach dem MVG.EKD geltenden Verfahrensvorschriften, nämlich gemäß § 63 Abs. 7 MVG.EKD nach den Vorschriften über das Beschwerdeverfahren des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens richtet.
III. Die Beschwerde ist nicht begründet. Die Vorinstanz hat richtig entschieden. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz, dass die nach § 14 MVG.EKD zur Anfechtbarkeit einer Wahl führenden Fehler nicht zur Folge haben, dass die Durchführung einer Wahl gerichtlich untersagt werden darf, sondern nur, dass die Anfechtungsgründe in einem Wahlanfechtungsverfahren zu prüfen sind, trifft zu. Besonders Fehler im Wahlverfahren führen in aller Regel nur zur Anfechtbarkeit und nicht zur Nichtigkeit der Wahl der Mitarbeitervertretung; dies zeigt bereits der Wortlaut des § 14 MVG.EKD
Ob - wie die Beschwerde meint - die von der Dienststellenleitung geltend gemachte Nichtigkeit der Wahl des Wahlvorstandes auch die Nichtigkeit der von diesem Vorstand durchgeführten Wahl der Mitarbeitervertretung zur Folge hat oder gar aus rechtlichen Gründen zur Folge haben muss, ist für Betriebsratswahlen im Schrifttum umstritten (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, Betriebsverfassungsgesetz mit Wahlordnung, 22. Auflage, § 19 Rn. 5 m.w.N.; Richardi/Thüsing, Betriebsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 75; Hess/Schlochauer/Worzalla/Glock/Nicolai, Kommentar zum Betriebsverfassungsgesetz, § 19 Rn. 43), vom Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offengelassen (BAG, 19. November 2003 - 7 ABR 25/03 - AP Nr. 55 zu § 19 BetrVG 1972) und vom LAG Berlin abgelehnt worden (LAG Berlin vom 8. April 2003 - 5 TaBV 1990/02 - NZA-RR 2003, 587). Jedenfalls kann die Nichtigkeit der Wahl einer Mitarbeitervertretung nur dann angenommen werden, wenn derart grob und gravierend gegen die wesentlichen Grundsätze des Wahlrechts verstoßen worden ist, dass nicht einmal der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliegt (vgl. Baumann-Czichon, Kommentar zum MVG.EKD, 3. Auflage, § 14 MVG.EKD Rn. 9; Berliner Kommentar zum MVG.EKD/Küfner-Schmitt, § 14 MVG.EKD Rn. 32); dabei kann die Nichtigkeit der Wahl einer Mitarbeitervertretung sich auch nicht aus einer Gesamtwürdigung einer Reihe von Verstößen gegen Wahlvorschriften ergeben, der jeder für sich nur deren Anfechtbarkeit nach sich zöge (vgl. für die Betriebsratswahl: BAG, Beschluss vom 19. November 2003 - 7 ABR 24/03 - BAGE 108, 375 = NZA 2004, 395).
Gemessen hieran kann der behauptete Fehler bei der Bestellung des Wahlvorstandes, selbst wenn daraus die Nichtigkeit seiner Bestellung folgt, nur dann die Nichtigkeit der Wahl der Mitarbeitervertretung zur Folge haben, wenn sich dies nachweislich bis in das Wahlergebnis durchschlägt. Das aber kann erst geprüft werden, wenn die Wahl durchgeführt worden ist.
Bei dieser Sach- und Rechtslage kann dahinstehen, ob - wie die Beschwerde erstmals beantragt - eine Feststellung der Nichtigkeit der noch nicht durchgeführten Wahl überhaupt möglich ist und ob dies im Verfahren der einstweiligen Verfügung erfolgen darf.
IV. Eine Kostenentscheidung ist entbehrlich (§ 63 Abs. 7 MVG.EKD, § 22 Abs. 1 KiGG.EKD).